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„Holographie ist ähnlich vielversprechend, wie es die Elektronik in den 1950er und 1960er Jahren war“

HÜBNER und ZEISS Microoptics arbeiten gemeinsam an holographischen Displays, die – integriert in die Fenster von Zügen und Bussen – Fahrgäste informieren und unterhalten sollen. Im Interview sprechen der Geschäftsführer der HÜBNER-Gruppe, Ingolf Cedra, und Dr. Viktor Schütz, Head of Partnership Management bei ZEISS Microoptics, über die Vorteile dieser Technologie gegenüber herkömmlichen Displays, über die photonischen Building-Blocks der Holografie und über deren Marktpotenzial im Konzert der unterschiedlichen Display-Lösungen. Daneben geht es um die strategische Bedeutung der Photonik für eine Unternehmensgruppe wie HÜBNER und über die zunehmende Diversifizierung photonischer Zielmärkte.

© HUEBNER / ZEISS

Herr Cedra und Herr Dr. Schütz, wie kam es zu der Zusammenarbeit Ihrer Unternehmen bei der Entwicklung holographischer Displayelemente für die Fenster von Bussen und Bahnen?

Ingolf Cedra: Unsere Kooperation hat sich angebahnt, seit HÜBNER gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM in Freiburg vor zehn Jahren einen PRISM-Award für den durchstimmbaren Laser „C-WAVE“ erhalten hat: ein kontinuierlich emittierender Optisch-parametrischer Oszillator, der Laserlicht über den gesamten sichtbaren Spektralbereich emittiert. Dieses Prinzip haben wir kontinuierlich weiterentwickelt und eine neue Laser-Plattform geschaffen, die sich aufgrund ihrer hohen Leistung im CW-Betrieb hervorragend für holographische Anwendungen in verschiedenen Wellenlängenbereichen des RGB-(Rot-Grün-Blau)-Spektrums eignet. Gemeinsam mit ZEISS Microoptics haben wir die technischen Anforderungen einer industrialisierten Anwendung in der Holographie erarbeitet und in die Weiterentwicklung einfließen lassen.

Unsere neue Laserplattform „HoloTUNE“ gibt es nun in drei Varianten für die verschiedenen Wellenlängenbereiche. Im Laufe der Partnerschaft sind wir ins Gespräch darüber gekommen, wie wir mit unserem jeweiligen lasertechnischen und holographischen Know-how neuartige Produkte schaffen können, die für die Kundschaft in unserem Kernmarkt Public Transportation relevant sind – also für Bahnunternehmen und ÖPNV-Anbieter. Die Idee, neuartige Displays und Beleuchtungsmöglichkeiten zu entwickeln, hatten wir schon vorher und mehrere Ansätze verfolgt. Aber erst mit ZEISS haben wir den Partner gefunden, der für seine Holographie-Entwicklung sehr konkrete, hohe Anforderungen an unsere Laser gestellt hat und eine klare Vorstellung davon hatte, wie die Holographie industrialisiert werden kann. Das hat unsere Laserentwicklung entscheidend vorangebracht. Nachdem ZEISS unsere Laser in ihre Holographie-Systeme integriert hat, arbeiten wir nun gemeinsam daran, ihre holographischen Display-Module in unsere Fenstersysteme für Bahnen und Busse zu integrieren. Wir haben einen Demonstrator gebaut und jüngst auf der weltgrößten Leitmesse der Bahnindustrie „Innotrans“ präsentiert. Das Feedback war überragend. Offensichtlich besteht in der Public Transportation Branche großes Interesse an neuen Display-Lösungen für Fahrgastinformation oder auch Infotainment.

Dr. Viktor Schütz: ZEISS verfolgt das strategische Ziel, die Holographie zu industrialisieren. Dafür gilt es, wertstiftende Produkte zu entwickeln. Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir im Rahmen der Entwicklung viele technologische Fragestellungen sowohl intern als auch extern mit Partnern gelöst. Im Rahmen der Auslegung der Replikationstechnologie haben wir uns dazu mit Hübner im Bereich der Lasertechnik verständigt und sind hierzu eine strategische Partnerschaft eingegangen. Da Hübner wie Zeiss verschiedene Märkte bedient und unterschiedliche Produkte anbietet, war es naheliegend, sich über potenzielle Anwendungsfälle und Kooperationsmöglichkeiten auszutauschen und so im Weiteren unsere Kompetenz in der Optik und Optikfertigung mit dem spezifischen Branchenwissen von HÜBNER im Bereich Zug und Bus zu kombinieren. Im Allgemeinen definieren wir die optischen Systeme, setzen die entsprechenden Fertigungsschritte auf, um so die holographischen Produkte für die Märkte Mobilität, Consumer und HomeTech zusammen mit Partnern realisieren zu können. Dabei ist die Kooperation mit strategischen Partnern für ZEISS ein Leitgedanke. Mit den zuverlässigen und industrietauglichen „HoloTune“-Lasern sind wir unter anderem in der Lage, holographische Displays für unterschiedliche Märkte in Serie bringen zu können. Transparente Displays für Busse und Bahnen sind ein sehr vielversprechendes Zukunftsfeld. Wir sehen darin nur einen Anfang und haben noch eine Menge weiterer Anwendungsideen für den Markt Public Transportation, die wir gemeinsam vorantreiben möchten.

Worin bestehen die zentralen Vorteile der Holographie gegenüber OLED- oder LCD-Displays?

Cedra: Sie sind technisch einfacher (allerdings nur auf den ersten Blick), benötigen weniger Energie und weniger Bauraum im Fahrzeug, sind jederzeit nachrüstbar, da keine aufwändige Technik an Ausgabemedien erforderlich ist, und obendrein bieten sie eine hohe Bildauflösung. Wenn Sie sich in heutigen Bussen und Bahnen umsehen, dann finden Sie wenige Displays, die recht viel Platz beanspruchen und obendrein teuer sind. Auch sind sie nicht von allen Sitzen aus sichtbar. Holographische Displays sind dagegen in jedes Fenster integrierbar, sie bieten auch bei Gegenlicht eine unschlagbare Bildgebungsqualität und sind einfach zu installieren. Es braucht nur die holographische Folie, die bei Neufenstern direkt integriert und bei Nachrüstlösungen auf das Fenster appliziert und geschützt wird. Der Projektor kann auf engstem Bauraum über den Fenstern angebracht werden. Auch bietet die Technologie Möglichkeiten für eine interaktive Bedienung oder für das flexible Aufteilen der Fensterflächen im Sinne kundenindividueller Information. Und die holographischen Displays blenden die Informationen dort ein, wo die Fahrgäste sie sofort sehen; direkt am Point of Interest also. Wir werden nun mit ersten Pilotkunden testen, wie Fahrgäste diese Lösung annehmen und in welchem Maße deren Skalierung sinnvoll ist. Die Skalierung und flexible Aufteilung der Fensterflächen sehen wir als großen Vorteil von holographischen Displays. Ein jeder ÖPNV-Anbieter kann hier seiner Philosophie folgen – und seine bestehenden Flotten mit Fahrgastinformations- und Infotainmentsystemen nachrüsten. Es geht hier um mehrere Millionen Fahrzeuge weltweit.

Braucht es Fensterflächen, um solche holographischen Displayelemente zu integrieren?

Schütz: Kurz noch ein Nachtrag zur Energieeffizienz: ein typischer Fernseher braucht bis zu 200 Watt für eine 55 Zoll Bildschirmdiagonale. Ein holographisches Display kommt je nach bespielter Projektionsfläche und definierter Eyebox mit einem x10-Watt-Projektor aus und stellt Informationen genau dann am Point of Interest innerhalb der Eyebox bereit, wenn sie gerade benötigt werden – ansonsten ist diese Fläche nahezu komplett transparent und stört den freien Blick nicht. Aber es ist auch möglich, mit leistungsstärkeren Projektionssystemen noch wesentlich größere Displayflächen zu bespielen. Aber zurück zu Ihrer Frage: Grundsätzlich können wir jede beliebige Oberfläche – ob transparent, opak oder blickdicht – mithilfe unserer Holographie-Systeme in ein Display-on-demand verwandeln. Es braucht dafür nur die holographische Folie, den Projektor, die Hologramme und das entsprechende Know-how für deren optimale Integration…

Cedra: …dieses Know-how haben wir bei den Fenstersystemen für Busse und Bahnen. Für HÜBNER ist das Projekt eine Brücke zwischen den „Photonics Enabled Technologies“ unseres Geschäftsbereichs HÜBNER Photonics und unserem traditionellen Kerngeschäft Mobility. Es ist eine Antwort auf die bei uns intern oft gehörte Frage, was Photonik und Mobility miteinander zu tun haben und wie beide Bereiche bei uns zusammengehören. Ich bin seit Langem davon überzeugt, dass die Photonik als Plattformtechnologie früher oder später in jedem Lebensraum und jeder Branche Fuß fassen wird. Mit ZEISS bringen wir unsere jeweiligen Ökosysteme zusammen, um das Beste aus beiden Welten für die Industrialisierung holographischer Displays nutzbar zu machen. Ob das nun in Bussen und Bahnen …

Schütz: … oder in Autos ist, im öffentlichen Raum oder im Handel – wir sehen enormes Potenzial.

Fenster haben den Zweck, Licht hinein- und Blicke herauszulassen. Ist diese Urfunktion durch die Integration holographischer Displayelemente beeinträchtigt?

Cedra: Mit bloßem Auge ist nicht erkennbar, ob eine holographische Folie in das Fenster integriert ist. Erst wenn der Projektor das Bild auf die Hologramm-Folie projiziert, erscheinen Informationen. Ansonsten ist die Scheibe völlig transparent.

Sehen alle Fahrgäste dasselbe oder spielen die Blickrichtung und der Betrachtungswinkel eine Rolle bei dem, was sich holographisch abbilden lässt?

Schütz: Mit der Holographie realisieren wir Displays-on-demand. Es lässt sich also an spezifischen Flächen genau die Information einblenden, die für die dort sitzenden Fahrgäste relevant sind oder für die beispielsweise Werbetreibende bezahlt haben. Seien es Hinweise auf Museumsausstellung oder gastronomische Angebote in der Nähe des nächsten Haltepunkts. Wer und in welcher Form diese und weitere Informationen zu sehen bekommt, wird in zukünftigen Use-Case Analysen und abgeleiteten Geschäftsmodellen zu klären sein. In dem Zusammenhang weist ihre Frage auf einen wichtigen Unterschied zu herkömmlichen Displays hin: je nach Sichtrichtung können blickwinkelabhängig selektiv Informationen für wenige oder auch sehr viele Passagiere bereitgestellt werden. Dank der Holographie sind uns nahezu keine Grenzen gesetzt.

Können Sie den Hardware-Aufbau holographischer Displays skizzieren und uns den jeweiligen Beitrag Ihrer Unternehmen erläutern?

Cedra: Im Prinzip braucht es nur die holographische Folie und einen (wenn gewünscht) hochauflösenden LED-basierten Projektor, der die Bildinformationen auf die Folie projiziert. Unsere durchstimmbaren Laser sind für das Mastering und die Replikation – also die Vervielfältigung der Hologramme im Einsatz. Das ist ein großer Vorteil mit Blick auf die Systemkosten der Displaymodule.

Schütz: Die Komplexität dieser Display-Technologie steckt im Hologramm. Das ist der entscheidende Unterschied zu LED-, LCD- oder OLED-Displays, die in Hightech-Fabriken mit hochkomplexen Prozessen gefertigt werden. Eine Display-Fabrik ist eine Milliarden-Investition. Auch die Halbleitermaterialien sind eine wertvolle, energieintensive Ressource, von der es für holographische Displays im Vergleich nur winziger Mengen bedarf. Das Hologramm an sich entsteht durch die Wechselwirkung zwischen einem photosensitiven Material und spezieller Lasertechnologie, die die entsprechende Information in das Volumen dieses Materials einschreibt. Hier liegt u.a. das Know-how von ZEISS, das wir in den letzten Jahren aufgebaut und mit mehreren hundert Patenten für unterschiedliche Aspekten der Holographie-Technologie abgesichert haben. Zusammenfassend, wir haben eine industrielle rein photonische Fertigungskette entwickelt und mit Partnern aufgebaut, die ohne physisches Umformen, Gießen, Schleifen, Prägen o.ä. auskommt…

Cedra: …und absolut faszinierend ist! Hiermit sind die Herstellungskosten eines Hologramms weit geringer als der gegenwärtige Stand der Technik im Display-Markt. Wir sehen hier bessere Qualität, höhere Energie- und Ressourceneffizienz zu geringeren Kosten. Das sind die Voraussetzungen für eine schnelle, möglicherweise sogar disruptive Marktdurchdringung.

Welche strategische Rolle spielt die Photonik für eine Unternehmensgruppe wie HÜBNER, die – zumindest von außen betrachtet – ihren Fokus klar auf die Mobilitätsbranche legt?

Cedra: Wir sind eine familiengeführte Unternehmensgruppe mit rund 3500 Beschäftigten weltweit und rund 500 Millionen Euro Umsatz. HÜBNER ist seit geraumer Zeit in der Photonik aktiv. Kurz bevor ich hier 2014 in die Geschäftsführung eingestiegen bin, hatte das Unternehmen mit dem Fraunhofer IPM gleich zwei PRISM-Awards gewonnen. Neben unserem durchstimmbaren Laser „C-WAVE“ wurde auch unser Terahertz-Spektrometer „T-Cognition“ damit ausgezeichnet. Für mich war das ein Beweis für die Potenziale dieser Technologien, die von der Industrie entsprechend anerkannt und honoriert wurden. Ich sehe unser Photonik-Geschäft als ein strategisches Wachstumsfeld, das wir durch das Anwerben von hervorragenden Fachkräften und gezielte strategische Akquisitionen konsequent stärken. Das Erschließen neuer Zielmärkte und die Stärkung unseres Vertriebs spielen dabei eine zentrale Rolle. Seit dem Jahr 2016 ist die HÜBNER Photonics neben der Mobility und den Material Solutions unser drittes eigenständiges Geschäftsfeld und eine eigene Corporate Division. Sie hat eine steile Wachstumskurve hinter – und nach meiner Einschätzung erst recht vor sich. Perspektivisch wird die HÜBNER Gruppe ein Stiftungsunternehmen sein. Die Grundlagen dafür sind bereits vor Jahren gelegt worden. Wir denken sehr langfristig und sehen in der technologischen Diversifizierung und der Fokussierung auf Nachhaltigkeit den Schlüssel, um auf Dauer erfolgreich und auch unabhängig zu bleiben.

Wo legen Sie die Schwerpunkte in der Photonik?

Cedra: Wir adressieren vier Kernmärkte: Life Science, wo wir neben unserem starken Laser Portfolio auch strategische Kooperationen mit Instrumentenentwicklern für Diagnostik pflegen. Daneben die Metrology mit den Schwerpunkten Spektroskopie und Mikroskopie. Ein drittes Feld sind die Quantentechnologien, in denen verschiedene unserer sehr speziell angepassten Laser sehr gefragt sind. Und das vierte Feld ist die Interferometrie und Holographie. Hier sind wir seit 2016 aktiv und haben in der Vergangenheit mit verschiedenen nordamerikanischen Start-ups eng kooperiert, die die Holographie in der Automobilindustrie etablieren wollten. In den Projekten haben wir gelernt, dass gute Technologie nicht alles ist. Unsere Hochleistungslaser bringen zwar getreu unseres Slogans „Coherence matters“ die nötige hohe Kohärenzlänge mit. Doch der Marktzugang ist komplex, die Industrialisierung kompliziert und verlangt enormes und sehr besonderes Know-How. Dazu braucht es die richtigen Partner. Daher fühlen wir uns in der Kooperation mit ZEISS sehr gut aufgehoben.

Busse und Bahnen sind für ZEISS wahrscheinlich eher die Ausnahme. Inwieweit erleben Sie in letzter Zeit eine verstärkte Diversifizierung photonischer Zielmärkte, Herr Dr. Schütz?

Schütz: Die Diversifizierung ist in der Holographie inhärent angelegt. Wir müssen photonische Systeme nicht mit Glas- oder Kunststoffoptiken umsetzen. Es ist auch möglich, sehr viele optische Informationen in ein Hologramm einzuschreiben, um damit sehr viel kompaktere Systeme zu realisieren. Das ist die Basis für eine Vielzahl neuer Produkte, die bisher schlicht nicht produzierbar waren. Die Holographie ist aus unserer Sicht ähnlich vielversprechend, wie es die Elektronik in den 1950er und 1960er Jahren war. Ähnlich wie die ersten Siliziumchips ganz andere Maßstäbe hatten als die heutigen, so werden sich auch optische Systeme auf Basis der Holographie und integrierter Optik immer weiter miniaturisieren lassen – und für immer komplexere Funktionen immer weniger Raum beanspruchen. Wenn ich mir den Fortschritt der Elektronik in den letzten Jahrzehnten anschaue, freue ich mich auf die Entwicklung der Optik, der Photonik und der Holographie – und darauf, sie aktiv mitzugestalten! ZEISS hat diese Möglichkeiten bereits früh erkannt und investiert strategisch in dieses Technologiefeld.