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„Im Kältemarkt gibt es aktuell viel Unruhe“

Je höher die Leistungen und Präzisionsanforderungen und je kleiner der verfügbare Bauraum, desto wichtiger wird das Thermomanagement in photonischen Systemen. Die Kühlung ist eine Wissenschaft für sich, die ein komplexes Bündel an Herausforderungen erfüllen muss. Neben der Kühlperformance geht es um zuverlässigen, wartungsarmen Betrieb, um Energieeffizienz, umweltgerechte Kühlmittel oder Vibrations- und Lärmvermeidung. Im Interview sprechen Jan Meise, Vorstand der AMS Technologies AG aus Martinsried bei München und deren Experte für Thermal-Management, Dr. Konrad Laufs, über technologische Ansätze für effizientes Kühlen, kundenspezifische Anforderungen in der Photonik und wichtige Märkte für die Kühltechnik.

Herr Meise, möchten Sie uns Ihr Unternehmen kurz vorstellen?

Jan Meise: Wir sind ein mittelständisches Unternehmen mit knapp 100 Beschäftigten, das 1982 von dem US-Amerikaner Eric Protiva als Elektronik-Distributor gegründet wurde. Die Standbeine waren seinerzeit Leistungselektronik, Wärmemanagement und Photonik. Wir haben dann immer öfter Entwicklungsprojekte europäischer Kunden begleitet, für die wir maßgeschneiderte photonische Systeme aus Komponenten internationaler Hersteller zusammengestellt haben. Seit 2010 entwickeln und fertigen wir vermehrt inhouse. Dabei geht es sowohl um kundenspezifische photonische Systeme als auch um Lösungen für das Wärmemanagement. Letztere fertigen wir in Polen, die Laser in England. Unsere Zentrale und unsere Entwicklung haben wir in Martinsried bei München. Wir verstehen uns als Anbieter, der auch in Nischen kundenspezifische Lösungen mit echtem Mehrwert anbietet und auch deren Integration unterstützt. Mit diesem Ansatz haben wir zuletzt über 30 Mio. Euro umgesetzt.

Welche Ansätze zum Kühlen photonischer Systeme gibt es, Herr Dr. Laufs?

© Messe München

Dr. Konrad Laufs: Für Systeme mit geringem Kühlbedarf sind meist thermoelektrische Kühler auf der Basis von Peltier-Elementen im Einsatz. Sie wandeln elektrische Leistung direkt in einen gerichteten Wärmestrom um und haben den Vorteil ohne Flüssigkeit und bewegte Teile auszukommen. Allerdings ist ihr „Coefficient of Performance“ begrenzt. Aber für miniaturisierte Systeme und viele Laseranwendungen in der Biophotonik und Medizin genügt ihre Kühlleistung. In der industriellen Lasermaterialbearbeitung ist der Kühlbedarf sehr viel höher und liegt oft jenseits von 20 Kilowatt (kW). Das leisten nur Flüssigkeitskühler. Wir agieren eher im mittleren Bereich, in dem es oft an der Systemeffizienz mangelt. Selbst wenn Laser nur wenige Watt Leistung haben, wird zuweilen mit Leistungen im kW-Bereich gekühlt. Wir sehen zuweilen Aufbauten, in denen der Flüssigkeitskühler im Nachbarraum steht und über meterlange Wasserschläuche mit dem Laser verbunden ist. Unser Anspruch ist ein anderer: Wir integrieren die Flüssigkeitskühler in unmittelbarer Nähe zur Laserdiode und minimieren die Verlustwärme, indem wir die Kühlleistung des Kompressors ständig nachregeln, um sie der Verlustleistung des Lasers kontinuierlich anzupassen. Gerade im mittleren Segment können Kunden mit individuell angepassten Wärmemanagementsystemen große Effizienzpotenziale heben.

Wie verändern sich die Kühlanforderungen in der Photonik?

Laufs: Alle drei Segmenten liegen im Wandel, was viel Unruhe auslöst. Einerseits geht es darum, die bisherigen Kältemittel zu ersetzen. Während das bei Kühlschränken durch den Einsatz von einfachen Kohlenwasserstoffverbindungen gut lösbar war, ist es in der Photonik komplizierter. Neuste Systeme nutzen Wasser als Kältemittel. Es muss dafür im Vakuum geführt und per Turbokompressor verdichtet werden. Die Systeme sind komplex und bisher nur im Hochleistungsbereich verfügbar. Auch bei den Peltier-Elementen herrscht Unruhe. Wegen der Rohstoffverfügbarkeit werden sie meist in Russland produziert. Infolge des Kriegs und der Sanktionen sind die Lieferketten abgerissen. Wir knüpfen nun neue Verbindungen zu Anbietern aus den USA und der Ukraine. Aber noch ist die Lage angespannt. Auch deshalb sind Ideen gefragt, um niedrige bis mittlere Kühlleistungen effizient bereitzustellen. Der Schlüssel dazu liegt in der Miniaturisierung. Wir haben jüngst für einen mobilen Kosmetik-Laser eine Lösung mit dem Kältemittel Isobutan entwickelt, für die wir miniaturisierte Kompressoren, Verdampfer und Verflüssiger einsetzen. Generell geht es darum, die Systeme möglichst nah an den tatsächlichen Kühlbedarf der Laser zu adaptieren, Bauräume zu reduzieren sowie Lärm und Vibration zu vermeiden.

Inwieweit können Sie dabei auf Lösungen von der Stange aufbauen?

Meise: Gerade Kühlanforderungen in der Photonik sind meist speziell und müssen für jedes Projekt auf neue Anforderungen zugeschnitten werden. Um sie dennoch zu vernünftigen Preisen anbieten zu können, setzen wir auf Modularisierung. Unser Systembaukasten wächst stetig, wodurch wir immer schneller auf Kundenanfragen reagieren und Projekte binnen Monaten statt Jahren umsetzen können. Um unseren Baukasten zu erweitern, setzen wir auch auf Kooperationen mit großen Kompressoren-Herstellern aus dem Hausgerätemarkt. Zwar sind deren Produkte nicht eins zu eins zum Laserkühlen geeignet, weil Kühlschränke auf niedrigere Temperaturen ausgelegt sind als die 20 Grad Celsius, die für Lasersysteme optimal sind. Dennoch trägt die Zusammenarbeit Früchte. So entwickeln wir aktuell mit einem der Hersteller einen sehr effizienten, kompakten Kompressor mit Inverter zum Nachregeln, der spezifisch auf die höheren Verdampfungstemperaturen in der Photonik ausgelegt ist. Wir bieten unseren Kunden auch ein Versuchs-Kit mit einer IoT-(Internet of Things)-Schnittstelle an, mit dem sie inhouse Vorarbeiten für eine optimale Systemauslegung erledigen können. Über die Schnittstelle sind wir in der Lage, Prozessdaten einzusehen und auf ihrer Basis Unterstützung bei der Systemauslegung zu leisten. Über solche vernetzten Lösungen können wir die Kühler auch umprogrammieren, um ihre Effizienz entlang der Betriebsprofile zu optimieren. So lässt sich die Systemoptimierung in die Proof-of-Concept-Phase vorverlegen, was die Gesamtentwicklungsdauer deutlich verkürzt.

Sie sprachen vom Bedarf an neuen Ideen jenseits der Thermoelektrik, um miniaturisierte photonische Systeme effizient zu kühlen. Gibt es dafür Ansätze?

Dr. Laufs: Ja. Mit der „Direct Evaporation“, bei der Mikro-Kühlplatten als Verdampfer dienen, können wir den Wasserkreislauf komplett eliminieren. Das spart Platz, weil alle Komponenten des Kreislaufs entfallen. Und es minimiert den Wartungsaufwand, da das Nachfüllen von Wasser ebenso entfällt wie das Vorbeugen von Korrosion und Leckagen. Die Verdampferplatte ist unmittelbar an der Laserdiode angebracht und leitet deren Wärme per Direktverdampfung des Kältemittels ab. Leider ist der Ansatz nicht für alle Lasersysteme geeignet. Einerseits sind die Leitungslängen nicht beliebig skalierbar; wenn also mehrere Meter zwischen Diode und Laserkopf liegen, ist die Direktverdampfung keine Option. Und andererseits setzt so ein System voraus, die Lastprofile exakt zu kennen, um entsprechend nachregeln zu können. Aber die Technik ist marktreif: Wir setzen die „Direct Evaporation“ im Medizinbereich erfolgreich ein.

Welche Disziplinen, Kompetenzen und technische Infrastruktur setzen Sie ein, um Kühllösungen kundenspezifisch auszulegen?

Meise: Zentral für die Systemauslegung ist die Designkompetenz. Schätzungsweise 80 Prozent aller Qualitätsprobleme sind in schlechtem Systemdesign begründet. Darum beginnt unsere Prozesskette mit sauberer CAD-Konstruktion und CFD-Simulationen. Im zweiten Schritt folgt dann die Beschaffung geeigneter Komponenten von unseren Zulieferern, ehe unsere Kältemittel-Ingenieure in den Proof-of-Concept einsteigen und das System dabei gründlich testen – unter anderem in der Klimakammer. Wir haben sehr gut ausgestattete Labore, um Prototypen erproben und validieren zu können. Der ganze Prozess läuft in der Cloud ab, damit die Teams stets auf demselben Entwicklungsstand sind. Bereits seit 2015 haben wir die Digitalisierung mit Hochdruck vorangetrieben und unser Geschäft komplett in die Cloud verlegt. Das hat unsere kommunikativen Abläufe und Kollaborationsprozesse um Längen verbessert und stark beschleunigt. Wir kommen schneller zum Proof-of-Concept, stoßen früher auf Fehler und Optimierungsbedarf und können uns in späteren Entwicklungsstadien auf das Feintuning konzentrieren. In diesem agilen Ansatz binden wir unsere Kunden früh in die Iterationsschleifen ein, wodurch wir unter dem Strich schneller zu besseren Ergebnissen kommen.

Inwieweit beeinflussen Klima- und Umweltziele Ihre Forschung und Entwicklung?

Dr. Laufs: Großen Einfluss hat natürlich die angesprochene Kältemittelthematik. Die Branche muss klimaschädliches Tetrafluorethan (R134a) durch „grüne“ Kältemittel ersetzen – und es ist längst nicht ausgemacht, welche Lösungen sich durchsetzen. Dagegen scheint es beim Wärmemanagement zuweilen, als spiele Energieverbrauch keine Rolle. Nicht selten sehen wir, dass in ein und demselben System zeitgleich gekühlt und elektrisch geheizt wird, um die Temperatur konstant zu halten. Erst in jüngerer Zeit beginnt die Photonik-Industrie, stärker auf die Energieeffizienz ihrer Prozesse zu achten und Einsparpotenziale mit geregelten Systemen zu heben.

Als Anbieter einer Enabling Technology haben Sie tiefe Einblicke in den Photonikmarkt. Gibt es besonders dynamische Marktsegmente und spannende Zielmärkte für Ihre Kühllösungen?

Meise: Besondere Dynamik erleben wir bei LiDAR-Applikationen für Fahrzeuge. In diesen Markt ist in den letzten Jahren sehr viel Venture Capital geflossen. Wir haben diesen Trend aufgegriffen und hier entwickelte schmalbandige Laser für eine Nischenanwendung nutzbar gemacht: LiDAR-Messungen in Windpotenzialanalysen. So gehen wir oft vor. Schaffen Innovationen den Sprung in den Massenmarkt nicht, dann finden wir dank unserer Markteinblicke oft Nischenanwendungen, in denen sie Mehrwerte bieten. Als dynamisches Innovationsfeld sehe ich auch Photonic Integrated Circuits (PICs). Aus Sicht des Wärmemanagements tut sich hier allerdings kein großer Markt auf. Ihre geringe Abwärme kann ein Peltier-Element gut abführen. Doch die Integrierte Photonik greift von Rechenzentren und Telekommunikationsanwendungen auf weitere Marktsegmente über, etwa die Biophotonik und Medizin. Wir beobachten die Entwicklung ebenso aufmerksam wie den Aufbruch der Quantentechnologien, in die weltweit riesige Fördersummen fließen. In dem Bereich sind jede Menge Laser im Einsatz, die oft großen Kühlbedarf haben. Daher ist der Markt interessant. Wir werden im Juni von unserem LASER-Stand aus sicher einen Abstecher zur World of QUANTUM unternehmen. Der Kernmarkt für unsere Wärmemanagementlösungen ist aber nach wie vor der Life-Science-Bereichs. Dort erzielen wir einen Großteil unseres Umsatzes und unterstützen die Hersteller bei der Integration spezifischer Kühllösungen in ihre zunehmend miniaturisierten Systeme. Mit unserem Know-how und unserer hohen Umsetzungsgeschwindigkeit können wir in diesem spannenden und sehr anspruchsvollen Markt punkten.