Simulation und innovative photonische Fertigungsverfahren ebnen Mikrooptiken den Weg zu fast grenzenloser Formenvielfalt. So reifen sie zur Schlüsseltechnologie einer hochintegrierten Photonik, mit der sich Grenzen des Machbaren überwinden lassen.
Schon die Fragestellung ist verwegen: „Lassen sich biologische Moleküle oder gar lebende Zellen mit Hilfe von Licht einfangen, vermessen oder verändern?“. Arthur Ashkin hat sie mit seiner optischen Pinzette beantwortet, für deren Entwicklung er 2018 den Physik-Nobelpreis erhielt. Seither bemühen sich Forschende weltweit, diese bahnbrechende Idee zu optimieren und wissenschaftlichen Laboren auf breiter Front zugänglich zu machen.
Ein Schlüssel dazu sind speziell geformte Mikrooptiken. Sie fokussieren das Licht von zwei exakt gegenüberliegenden Laserstrahlquellen jeweils auf den Punkt, an dem die Pinzette die Moleküle oder Zellen fixieren soll. Das funktioniert, weil die winzigen Teilchen einen anderen Brechungsindex haben als das umgebende Medium. Sobald das fixierte Teilchen aus dem Fokus gerät, kommt es zur Brechung des Lichts und dadurch zur Impulsübertragung, die es zurück in den Fokus zieht. Um die Strahlformung in der nötigen Präzision zu erreichen, ohne dass die Lichtintensität zellschädigendes Niveau erreicht, setzt ein Team des Physikalischen Instituts der Universität Stuttgart auf additiv gefertigte Mikrooptiken. Diese druckt es mithilfe der Zwei-Photonen-Graustufenlithografie aus dem Hause Nanoscribe direkt auf optische Fasern. Die hochpräzise Fokussierung der gegenläufigen Laserstrahlen gelingt mit einem eigens entwickelten optischen System, das den Lichtstrahl am Faserende erst aufweitet, um ihn dann mit jeweils zwei in 60 Mikrometern Abstand zueinander angeordneten diffraktiven Fresnellinsen auf den Zielpunkt zu fokussieren. Nur mit diesem Kunstgriff war es möglich, die gebotene hohe numerische Apertur zu erreichen.
Der Kunstgriff wiederum war nur dank des hochpräzisen additiven Fertigungsverfahrens von Nanoscribe umsetzbar. Um die durch winzige Säulen auf Abstand gehaltenen Fresnellinsen exakt ausgerichtet auf die Faserenden drucken zu können, kam eine Herstellungsstrategie von Nanoscribe zum Einsatz, in der die räumliche Ausrichtung der aufgedruckten Optiken an den Faserkernen automatisiert ist. Die mikrooptische Kopplung mit der 2022 auf der LASER World of PHOTONICs vorgestellten Quantum X align-Technologie ermöglicht nicht nur den präzisen 3D-Druck von Mikrooptiken auf Glasfasern, sondern auch auf photonisch integrierte Schaltkreise (PICs).
Hier tut sich eine neue Fertigungs- und Produktwelt im Mikrokosmos auf. Neben etablierten Unternehmen wie Jenoptik, Suss MicroOptics oder Mikrop tragen Start-ups wie die aus dem Stuttgarter Projekt hervorgegangene Printoptix GmbH und die Preisträger des LASER World of PHOTONICs Optics Fabrication Award 2022, Glassomer aus Freiburg, hierzu bei. Letztere kooperiert mit Nanoscribe, um für die Zwei-Photonen-Polymerisation optimierte Fotolacke zu entwickeln – den Baustoff der individualisierten Mikrooptiken aus dem 3D-Drucker. Dank der fertigungstechnischen Flexibilität bieten sie Entwicklern nahezu grenzenlose Freiheit bei der Formgebung. Die in Simulationen perfektionierten Freiformoptiken und Prismen lassen sich mit den lichtbasierten additiven Verfahren eins zu eins realisieren.
Das EU-geförderte Projekt PHABULOµS (s. Interview) hat das Ziel, Freiform-Mikrooptiken für unterschiedlichste Branchen nutzbar zu machen. Zum Spektrum der Anwendungen gehören speziell an den kurzen Abstand zum Auge angepasste Optiken für Virtual-, Augmented- oder Mixed-Reality-Brillen. Neben diesen in Fachkreisen als „Free-form multi-channel light folding optics“ bezeichneten Linsen sind frei formbare Mikrooptiken auch für Automobilscheinwerfer oder sanfte, gleichmäßige Innenbeleuchtungen vielversprechend. Laut SUSS MicroOptics, die im PHABULOµS-Projekt mitwirkt, sind Freiform-Mikrooptiken eine Schlüsseltechnologie für Megatrends wie 5G, das Internet der Dinge, die Miniaturisierung im Healthcare-Markt oder das Automatisierte Fahren.
Unter anderem fertigen die Schweizer refraktive und diffraktive mikrooptische Lösungen, die zur präzisen Strahllenkung Mikrolinsen und Prismen in einem Bauteil vereinen. Sie dienen unter anderem zum Ein- und Auskoppeln von Lichtsignalen in wafer-basierte PICs (Photonic integrated circuits), die zu den Kernkomponenten der Silizium-Photonik gehören. Denn diese ermöglichen in der Informations- und Telekommunikationstechnik immer höhere Bandbreiten bei zugleich sinkendem Energiebedarf, da Wandlungsprozesse von optischen per Glasfaser übertragenen Signalen in kupferbasierte Elektronik entfallen; da optische Datenübertragung deutlich weniger Abwärme produziert, sinkt der Kühlbedarf und lassen sich die Systeme auf immer weniger Bauraum realisieren. Die direkte Verbindung von Linsen und Prismen ebnet nicht der Integrierten Photonik neue Wege, sondern erlaubt dank präziser Strahlführung auf engstem Raum auch kompaktere Sensorik für tragbare Analyse- und Diagnosegeräte: Wo sich das Licht auf kürzestem Weg von der Strahlquelle durch ein untersuchtes Medium zum Detektor leiten lässt, ist sogar die Integration der Sensorsysteme in Wearables machbar.
Die Spezialisten von SUSS MicroOptics zielen mit ihrer monolithische Ko-Integration von Mikrolinsen und Prismen auf einen weiteren großen Zukunftsmarkt: Dank des minimalen Raumbedarfs und der vergleichsweise günstigen, gut skalierbaren Herstellung eigne sich die Technologie für die kritischen Strahlformungs- und Richtungselemente von LiDAR-Sensoren für autonome Fahrzeuge. Das wäre die Königsklasse; denn für den Einsatz im Automobil müssen sie selbst unter widrigsten Umweltbedingungen ein Autoleben lang zuverlässig funktionieren – und durch minimale Größe und Gewicht sowie massenmarktkompatible Kosten überzeugen. Nur so wird die laserbasierte Umfeld-Sensorik den Weg ins autonome Fahrzeug der Zukunft finden.