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Photonik in Kanada hat Tradition und Zukunft

Mehr als 400 Unternehmen und gut ein Dutzend wissenschaftliche Einrichtungen in Kanada befassen sich mit Photonik. Die Industrie hat eine lange Tradition – und eine lebendige Start-up-Szene.

Es ist aus heutiger Sicht ein erstaunlich weitsichtiger Artikel, den Alan Baker im Jahr 1979 im Canadian Journal of Communication veröffentlicht hat. Der Wissenschaftler der damals als Ryerson Polytechnical Institute geläufigen Toronto Metropolitan University schreibt über das Potenzial der Glasfasertechnologie, die er genau erklärt: „Die Faser selbst ist ein haarfeiner, flexibler – aber starker Glasfaden, der bidirektionale Sprach- und Videonachrichten in Form von hochfrequenten Lichtstrahlen übertragen kann. Diese werden entweder durch Laserlicht oder LED (Licht emittierende Dioden) geliefert“. Eine Faser könne Tausende Sprachsignale, mehrere Fernsehkanäle sowie Millionen „Bits“ an Computerdaten übertragen. Ein Dutzend dieser Fasern bilde ein Glasfaserkabel, das bestehende Computersysteme verbinden oder zusammenschalten könne. Der Wissenschaftler wirkt überzeugt, dass diese Innovation nur wenige Jahre brauchen wird, um die Telekommunikation, das Fernsehen und das gesamte Informationsverhalten der Menschen grundlegend verändern wird – auch wenn noch einige technische Herausforderungen rund um die elektro-optischen Wandlung zu lösen seien.

© Centre for Optics, Photonics and Lasers (COPL)

Baker war seinerzeit kein Hellseher, sondern ein aufmerksamer Beobachter des Aufbruchs der optischen Datenübertragung in seinem Heimatland Kanada. Laut seinem Artikel hatte Bell Northern Research schon 1976 im Hauptquartier der Nationalen Verteidigung in Ottawa das erste Glasfasersystem installiert. Solche Systeme seien „völlig unempfindlich gegen Störungen durch elektrische Quellen und Schnüffler – also praktisch abhörsicher“, schreibt er. Der Kommunikationsriese Bell Kanada plane für die 1980er Jahre den Austausch seiner Kupferleitungen gegen Glasfasernetze. In den Plänen sieht er Sprengkraft für den TV-Markt. Telefongesellschaften könnten eigene TV-Kanäle und individualisierte Videoangebote, interaktives Messaging anbieten und Konzepte für vernetzte Städte verwirklichen.

Pioniere der Laser- und Glasfasertechnologie

Bakers Artikel belegt mit zahlreichen Zitaten, dass hinter den Kulissen heftig um den Zugang zur Glasfaserinfrastruktur und um deren Regulierung debattiert wurde. Zumal sich schon die nächste Disruption abzeichnete: Kabel-Satelliten-Netzwerke. „Die laseroptische Technologie lässt sich leicht an Satellitensysteme adaptieren. In der Weltraum-Kommunikation könnte der Laserstrahl als effektiver Nachrichtenträger fungieren, weil er dort nicht der atmosphärischen Dämpfung unterliegt, die in niedrigeren Höhen vorherrscht“, erläutert der Wissenschaftler.

Das historische Dokument belegt, dass Kanada beim photonischen Aufbruch der letzten 60 Jahre oft führend war. So konnte Bell Northern Research 1976 bei der Installation des ersten Glasfasernetzes auf einem Jahrzehnt Forschung an optischen Fasern aufbauen. Aus dieser Forschung entsprang später ein Spin-off, das sich bald zum Global Player im Telekom-Sektor mauserte: die Nortel Networks Corporation. Auch wenn Nortel ab 2009 in einem langwierigen Insolvenzverfahren aufgelöst wurde, wirkt das technologische Erbe und Mindset nach: Denn in Kanadas Photonik-Industrie wimmelt es von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) mit Wurzeln in der Nortel-Ära. Rund um den Konzern war über die Jahre ein Ökosystem aus Hochschulen, Forschungsinstituten sowie in- und ausländischen Zuliefer- und Partnerfirmen entstanden, das bis heute im Korridor zwischen Ottawa und Québec zu finden ist.

Lebendige Wissenschafts- und Start-up-Szene

Auch der erste CO2-Laser weltweit hatte seine Wiege in dieser Region. Ende der 60er Jahre war es Jacques A. Beaulieu, der den Hochleistungs-Gas-Laser mit transversaler Anregung bei atmosphärischem Druck erfand – kurz: CO2-TEA-Laser. Die Kanadier haben Laser und optische Fasern früh in Zusammenhang gestellt. Institute wie das Nationale Institut für Optik (INO), das Centre d'optique, photonique et laser (COPL) der Université Laval, das Nationale Zentrum für Forschung und Entwicklung im Verteidigungsbereich (DRDC) und weitere acht Hochschulen in der Region Québec, die photonische Forschung betreiben, dienen dabei als wissenschaftliches Rückgrat. Sie bilden nicht nur Nachwuchskräfte aus und verschieben mit ihrer Forschung stetig die Grenzen des Machbaren, sondern sie bringen auch reihenweise Start-ups hervor. So ist ein gutes Drittel der 220 Unternehmen, die in der Provinz Québec zur Photonikindustrie zählen, noch keine zehn Jahre alt.

Ein wichtiges Bindeglied ist das 2017 auf Initiative aus der Industrie hin gegründete Cluster Optonique in Québec. Es bringt die Akteure aus den verschiedenen Welten zusammen und ist ein aktiver Teil jenes Unterstützungsnetzwerks, das den Start-ups auf ihrem Weg aus der akademischen Welt in die Märkte den Rücken freihält. Mit Erfolg: Vielen jungen Firmen gelingt der Übergang von der Gründungs- in die Scale-up-Phase. Das Cluster unterstützt sie unter anderem dabei, international Markt Fuß zu fassen. Dabei hilft auch der regelmäßige Gemeinschaftsstand auf der LASER World of PHOTONICS, auf dem sich 2023 mehr als ein Dutzend Unternehmen aus dem Cluster präsentierten – darunter der Innovationspreisträger Castor Optics und die als Hochschul-Spin-offs gestarteten und längst etablierte Spezialisten für optische Fasern, Coractive, sowie TeraXion, deren fast 70-köpfige Forschungs- und Entwicklungsabteilung innovative Faser-Bragg-Gitter, rauscharme Lasern sowie zunehmend integrierte photonische Elemente hervorbringt. Die Genannten sind nur ein kleiner Ausschnitt der quicklebendigen Branche, die ein genaueres Hinsehen verdient. Denn möglicherweise sind dort auch heute – wie in den 1970er Jahren – Photonik-Pioniere mit Weitsicht am Werk.

Zu den Kandidaten gehört unter anderem die Mid-Infrarot-Lasertechnik. Firmen wie die 2019 gegründete LumIR Lasers formulieren ehrgeizige Ziele: „Es geht darum, die technologischen Wunder des mittleren Infrarots zu demokratisieren und eine neue Laserrevolution über alle Bereiche der Industrie hinweg herbeizuführen“. Auch das kaum ältere Start-up Femtum plant mit Mid-Infrarot-Faserlasern für den Wellenlängenbereich zwischen 2,8 und 3,5 Mikrometern Großes: „Unsere gepulsten Laser bieten neue Möglichkeiten für die Präzisionsbearbeitung nichtmetallischer Werkstoffe, darunter Polymere, Halbleiter oder auch die Strukturierung von Dünnschichten“, wirbt das Team. Das Versprechen der Mid-Infrarot-Technologie: Gesteigerte Produktionsausbeute und ein höherer ROI im High-Tech-Fertigungssektor. Eines ist klar. Die kanadische Photonikindustrie hat nicht nur eine lange Tradition. Sondern sie hat die Zukunft fest im Blick.