Die Wurzeln der optischen Industrie Tschechiens reichen ins 17. Jahrhundert zurück. Heute hat das Land eine mittelständisch geprägte moderne Photonikbranche mit gut 30.000 Beschäftigten und einer starken Forschungsszene.
Es begann mit Edelsteinfunden in der Region um Turnov im Norden Tschechiens. Schon im 17. Jahrhundert entstanden erste Steinschleifereien, später Glashütten, aus denen sich nach und nach eine optische Industrie entwickelte. Brillenoptiken, Kristallzucht, mittlerweile auch optomechanische und optoelektronische Systeme, Laseroptiken, Mikroskope oder moderne Lichttechnik für Automobile – in der Tschechischen Republik ist in den letzten Jahrzehnten eine hochmoderne Photonikindustrie entstanden, die laut Petr Přikryl, Geschäftsführer des Tschechischen Optik-Clusters, aktuell 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt.
Zum Cluster gehören sechs Hochschulen und vier renommierte Forschungsinstitute, die sich auch auf globaler Bühne einen Namen gemacht haben. Darunter das TOPTEC in Turnov, in dessen Labors regelmäßig Highend-Optiken für die Europäische Weltraumagentur ESA und komplexe, oft asphärische Freiformlinsen für Industriepartner entstehen. Neben modernster Technik zur Präzisionsbearbeitung, Beschichtung und Vermessung der Optiken verfügen die TOPTEC-Labors über umfassendes Know-how im Bereich nichtlinearer optischer Materialien sowie elektro-optischer und elektromechanischer Materialien. Daneben befassen sich Teams des Instituts, das zur Tschechischen Akademie der Wissenschaften gehört, mit ultraschnellen und hyperspektralen, jeweils computergestützten Spektroskopie- und Bildgebungsverfahren.
Zu den wissenschaftlichen Top-Adressen gehören auch das HiLASE und ELI Beamlines, die ebenfalls in der Tschechischen Akademie der Wissenschaften eingegliedert sind. Das 2011 gegründete und seit 2016 operative Laserforschungsinstitut HiLASE in Dolní Břežany nahe Prag hat aktuell 1.200 Beschäftigte und gehört mit dem benachbarten ELI Laserzentrum zu den größten Instituten des Landes. Fast regelmäßig vermeldet HiLASE-Forschungsteams neue Weltrekorde: Gleich in den Gründertagen 2016 erreichten sie mit einem gepulsten diodengepumpten Nanosekunden-(ns)-Festkörperlaser bei 1030 nm Wellenlänge und einer Wiederholrate von 10 Hertz Pulsenergien von 105 Joule bei 10 ns Pulsdauer. Damals ein Rekord im für diese Art von Kilowatt-Laserquellen. Später steigerten sie die Pulsenergie auf 145 Joule. Mittlerweile ist dieser Nanosekundenlaser mit der Wiederholungsrate von 10 Hz bei 515-nm-Pulse der zweiten Harmonischen mit einer Energie von 95 J angekommen. Und auch im Bereich der ultraschnellen Multistrahl-Materialbearbeitung sehen sich die Forscher am HiLASE an der Weltspitze: eines ihrer Multistrahl-Systeme operiert mit 40.401 parallel geführten Laserstrahlen. Der Mehrstrahlansatz erlaubt beim Einbringen von Nanostrukturen in Edelstahl ebenfalls Rekordwerte: 1909 cm2 Fläche schafft das System pro Minute. Diese Rekordjagden sind natürlich nur ein Aspekt der breit angelegten Laserforschung, die von der Grundlagenforschung bis zum angewandten industriellen Laserverfahren reicht.
Das ebenfalls in Dolní Břežany angesiedelte ELI Beamlines ist ein Teil der paneuropäischen Forschungsinfrastruktur ELI (Extreme Light Infrastructure), in der die intensivsten Laser der Welt untergebracht sind. Spitzenforschung, für die an dem tschechischen Standort vier dort entwickelte Hochleistungs-Femtosekunden-Lasersysteme bereitstehen. Ob Physik, Chemie, Material- und Biowissenschaften oder laborgestützte Astrophysik: Forschungsteams reisen von weither an, um auf die Femtosekunden-Quellen für Röntgenstrahlen und beschleunigte Teilchen in den Strahlrohren der Einrichtung zugreifen und darin Experimente durchführen zu können. Die 2018 eröffnete Großforschungseinrichtung hat sechs Experimentierhallen und soll mit weiteren hochmoderne Laserquellen und Laserstrahlrohren ausgebaut werden.
Neben den zehn Hochschulen und Forschungsinstitute sind in Tschechen rund zwei Dutzend Photonik-Unternehmen aktiv. Es gibt laut Přikryl eine stetig wachsende Start-up-Szene mit diversen Ausgründungen aus den Instituten. Kleine hochspezialisierte Unternehmen treiben Mikroskopie-, Bioimaging- und Spektroskopie-Lösungen voran. Etwa NenoVision, ein Spin-Off der Brno University of Technology, das ein modulares Rasterkraftmikroskop (atomic force microscope, AFM) für die schnelle und einfache Integration in Rasterelektronenmikroskope entwickelt, produziert und vertreibt. Oder das 2019 gegründete Start-up Lightigo s.r.o., das sich auf die Lösungen für die Laser-induzierte Breakdown-Spektroskopie (LIBS) spezialisiert hat. Zu diesen jungen innovativen Unternehmen gehört auch Telight. Das Team entwickelt und vermarktet ein ursprünglich an der Brno University of Technology entwickeltes Verfahren zur holografischen Mikroskopie mit hoher Nachweisempfindlichkeit, das sich vor allem für die präzise automatische Segmentierung einzelner Zellen und deren datentechnische Analyse eignet. Die Lösung wandelt Zellmerkmale und -dynamiken dafür in numerische Daten um.
Am anderen Ende der Skala operieren fünf Großunternehmen, darunter die Spezialisten für Automobilbeleuchtung Hella Autotechnik Nova und Varroc Lightning Systems, die beiden Anbieter von Elektronenmikroskopie- und anderen Materialanalyse-Geräten, Thermo Fisher Scientific Brno und TESCAN ORSAY. Und auch der LASER-Aussteller Meopta-optika zählt mit 1.800 Beschäftigten zu den größten Mitgliedern des Optik-Clusters. Der Spezialist für optische, optomechanische und optoelektronische Lösungen blickt auf eine über 80-jährige Firmengeschichte zurück und ist auf Expansionskurs. Aufgrund stark steigender Nachfrage aus der Halbleiterindustrie baut das Unternehmen seine Produktionsflächen um 30.000 m² aus und schafft dabei modernste Reinraumflächen und Forschungsinfrastruktur. Geplant ist, dort künftig Optiken für den in der Lithografie wichtigen Wellenlängenbereich unter 200nm zu fertigen. Auch die Fertigung und Entwicklung moderner Infrarot-Optiken sowie ultrapräziser mechanischer Komponenten wird Meopta auf dem Firmencampus in Přerov ausbauen.
Zu den größeren Mittelständlern im Lande gehören zudem die LASER-Aussteller CRYTUR mit 320 Beschäftigten und die SQS Vlaknova optika, die mit 245 Beschäftigen faseroptische und optoelektronische Komponenten entwickelt und fertigt. Darunter hochpräzise optische Kollimatoren oder an optische Fasern angebundene Mikrolinsen-Arrays oder „Laserkabel“ für die Übertragung von Hochenergie-Laserstrahlen, in denen das Unternehmen bis zu 10.000 optische Fasern bündelt. Dieses Know-how ist auch in Forschungsinstituten gefragt. SQS wirkt in zahlreichen Forschungsprojekten mit. Dagegen macht sich CRYTUR seit nunmehr 75 Jahren einen Namen als Anbieter von integrierten kristallbasierten Hightech-Lösungen für wissenschaftliche und industrielle Zwecke. Im Zentrum stehen dabei synthetische Kristalle – die das in der Edelsteinregion Turnov beheimatete Hightech-Unternehmen züchtet, präzise schneidet, schleift, poliert, beschichtet und in Reinräumen montiert. Zur Produktpalette der Tschechen gehören Laserstäbe aus unterschiedlichen Materialien, präzise Detektoren für die Elektronenmikroskopie, für ionisierende Strahlung, hochauflösende Bildgebungssysteme, Lichtkonverter oder auch Präzisionskeramiken und Ferrite.
Die Turnover Edelsteinschleifer aus dem 17. Jahrhundert würden sich wundern, was aus ihrem Handwerk geworden ist. Für Petr Přikryl ist klar, dass die Tschechische Photonik ihr Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft hat. „Unser Cluster wächst. Unsere Vernetzung nimmt zu. Die Photonik kann in der Innovationsstrategie der Tschechischen Republik bis 2030 eine tragende Rolle übernehmen“, ist er überzeugt.