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„Brauchen starke Photonik-Branche in Europa“

Über 3.800 Mitglieder haben sich der europäischen Technologieplattform Photonics21 seit ihrer Gründung im Jahr 2005 angeschlossen. Die Public Private Partnership (Partnerschaft) agiert an den Schnittstellen zwischen Forschung, Industrie und Politik. Um den Wissenstransfer zu beschleunigen, betreibt Photonics21 aktuell zehn Pilot-Linien und Service-Hubs, in denen Unternehmen mit fachlicher Beratung photonische Innovationsfelder erschließen können. Im Interview spricht Photonics21-Präsident Dr. Lutz Aschke über die Rolle der Photonik bei der Bewältigung zentraler sozioökonomischer Herausforderungen unserer Zeit, das längst noch nicht erschöpfte wirtschaftliche Potenzial der Photonik und über Innovationsfelder wie die Integrated Photonics und die Quantentechnologien.

Herr Dr. Aschke, möchte Sie Photonics21 kurz vorstellen?

Lutz Aschke: Wir sind eine europäische Public Private Partnership (Partnerschaft) mit mehr als 3.800 Mitgliedern, bei der kostenlos mitmachen kann, wer sich der Photonik-Community verbunden fühlt. Oft begegnet uns das Missverständnis, wir seien ein Verband oder Cluster. Das ist nicht so. Vielmehr hat die EU-Kommission Photonics21 im Jahr 2005 ins Leben gerufen, um einen Austausch mit unserer Branche zu starten. Wir erarbeiten seither strategische Forschungs- und Innovationsagenden, welche die Kommission in Ausschreibungen des Forschungsrahmenprogramms aufnimmt. Wir sind nach belgischem Vereinsrecht organisiert und eine von 49 solcher Partnerschafts, in denen sich die EU-Kommission mit unterschiedlichsten Branchen austauscht. Dabei kommt es natürlich auch zur Vernetzung der Mitglieder untereinander, die vor allem aus der Industrie, Forschung und Politik kommen. Hinter alledem steht ein basisdemokratischer Gedanke. Die Teilnahme ist kostenlos, damit jeder mitmachen und Inhalte und Ideen einbringen kann.

Wie ist der Austausch organisiert?

Aschke: Es gibt sechs nach Anwendermärkten organisierte Arbeitsgruppen und eine weitere – „Core Photonics“ – in der automatisch Mitglied wird, wer sich bei Photonics21 registriert. Diese Struktur ist über die Jahre so gewachsen. Jede Arbeitsgruppe richtet Workshops aus, in denen alle Mitglieder Ideen und Inhalte einbringen können. Diese werden ungefiltert gesammelt, dann in der Community diskutiert und schließlich priorisiert. Im Sinne effizienter Prozesse gibt es eine gewählte Gremienstruktur, die die Workshops vorbereitet und auch den Transfer in Forschungsagenden und Arbeitsprogramme begleitet. Im Sinne lebendiger Diskussionen achten wir in den Workshops auf überschaubare Gruppengrößen. Das funktioniert bislang sehr gut. So haben an unserer kürzlich überreichten Forschungsagenda mehr als 1.000 Mitglieder aktiv mitgewirkt. Die Photonik-Community hat verstanden, dass sie in unserer Partnerschaft dazu eingeladen ist, forschungs- und förderpolitische Entscheidungsprozesse mitzugestalten. Die Politik braucht Input aus der Praxis, um ein Gespür für zukunftsweisende Technologietrends und für die Stärken der Branche zu entwickeln, die es weiterhin zu stärken gilt.

Welche Schwerpunkte setzen die Arbeitsgruppen?

Aschke: Sechs Work-Groups adressieren wichtige Anwendermärkte der Photonik: Neben Digitaler Infrastruktur, Manufacturing und Health gehören dazu die Bereiche Klima, Mobilität & Infrastruktur, sowie Safety, Security, Space & Defense und Landwirtschaft & Lebensmittel. Der Fokus liegt auf konkreten Anwendungen, um die umfassende Lösungskompetenz der Photonik ins Bewusstsein zu rufen und um ihr Potenzial für die sozioökonomischen Herausforderungen unserer Zeit durch applikationsnahe Innovationen zu heben. In der siebten Gruppe denken wir über die konkreten Anwendungen hinaus. Hier geht es um Grundlagenforschung und Enabler-Verfahren, die uns nicht verloren gehen dürfen, und um Investitionen in Zukunftsmärkte wie die Quantentechnologien oder die Integrierte Photonik. Geht es in den ersten sechs Gruppen eher um einen Market-Pull, so adressierte die Gruppe „Core Photonics“ jene Themen, wo noch ein Technology-Push erforderlich ist. Was unsere Arbeitsgruppen erarbeiten und priorisieren hält dann Einzug in die EU-Forschungsrahmenprogramme. Das liegt daran, dass wir in unserer Partnerschaft einen stetigen Austausch zwischen der Politik, Industrie und Forschung etabliert und so gegenseitiges Verständnis für unsere jeweiligen Anforderungen und Bedürfnisse entwickelt haben. Auf diese Weise kommt auch zustande, dass das spezifische Fördervolumen für die Photonik „nur“ 480 Millionen Euro beträgt – wir aber tatsächlich mit photonischen Lösungsansätzen in sehr vielen weiteren Bereichen der Forschungsförderung vertreten sind. Beispiele sind der Chips Act und das Quantencomputing, in denen der Photonik jeweils eine gewichtige Rolle zukommt. In dem breiten Spektrum der Anwendermärkte, die unsere Arbeitsgruppen adressieren, ist die Vielfalt der photonischen Lösungen nur angedeutet. Allein ein Smartphone birgt neben Lasern, Linsen, Chips und dem Display zahlreiche Fertigungsschritte, die nur photonisch machbar sind. Jedes Rechenzentrum, jede Klinik und Arztpraxis, jedes Fahr- und Flugzeug, jede landwirtschaftliche Maschine und Prozesskette in der Lebensmittelindustrie nutzt mittlerweile zahlreiche Lösungen aus der Photonik – und die Vielfalt der Anwendungen nimmt ständig zu. Und es gibt dabei ein Nebeneinander von massenhaft hergestellten Komponenten und absoluten Highend-Lösungen, die wiederum von der Vielfalt der Geschäftsmodelle zeugen.

Photonics21 steht hinter zehn Pilotlinien und Service-Hubs; darunter Phabuloµs, die wir jüngst vorgestellt haben. Wer kann diese Infrastruktur wozu nutzen?

Aschke: Die europäische Photonik-Industrie ist von vielen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) geprägt. Viele von ihnen sind in Deep- und Hightech-Bereichen aktiv. Produktionstechnik ist in diesen Feldern oft teuer, was den Zugang erschwert. Zumal sie anfangs oft noch nicht voll ausgelastet ist. Hier kommen die Pilotlinien ins Spiel. Diese sind im Zuge der EU-Forschungsrahmenprogramme „Horizon Europe“ und „Horizon 2020“ bei Photonik-Partnern entstanden, um insbesondere KMU dem Zugang zu neuen photonischen Technologien zu ermöglichen. Sie sind auch offen für Endanwender, die noch keine Vorerfahrung in der Photonik haben. Der Service reicht vom ersten Prototyping bis hin zur Kleinserienproduktion. Wir verfolgen dort eine „Test-before-Invest“-Strategie, um die Eintrittsbarrieren für neue Anwender zu senken. Begleitet wird das Ganze durch ein europaweites Trainingsprogramm auf den Technologieplattformen sowie kostenlose, passgenaue Beratung der Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Photonik-Innovation. Letztere übernimmt der PhotonHub Europe. Entlang der Pilotlinien kommen relevante Akteure zusammen; so entstehen Keimzellen für neue Lieferketten. Soweit möglich sind die Pilotlinien als virtuelle Fabriken organisiert und binden dezentral vorhandene Infrastruktur an Hochschulen, Forschungsinstituten und in spezialisierten Unternehmen ein. Es geht um Pragmatismus, Effizienz und um das europäische Miteinander: Wenn wir unsere vorhandenen Stärken bündeln, haben wir im globalen Wettbewerb viel zu bieten.

Dieser Wettbewerb ist in Zukunftsfeldern wie den Quantentechnologien und Integrated Photonics voll entbrannt. Genügt das aktuelle förderpolitische Engagement, um die gute Startposition der hiesigen Photonik-Industrie in Markterfolge umzumünzen?

Aschke: Noch nicht. Globale Wettbewerber investieren ganz andere Summen. Wir registrieren in der Politik allerdings ein wachsendes Bewusstsein für die Bedeutung dieser Zukunftsmärkte. Es geht darum, dass alle Beteiligten hinterfragen, ob unser bisheriger Baukasten an Förderinstrumenten noch für solche Zukunftsfelder geeignet ist. Müssen wir förderpolitische Rahmenbedingungen anpassen, um in internationalen Subventionswettbewerben mithalten zu können? Wie können wir Gelder intelligenter und effizienter einsetzen? Und wie schaffen wir es, trotz des Investitionsbedarfs in Zukunftstechnologien vorhandene Stärken weiterhin zu stärken? Um diese Fragen zu klären, ist der Austausch in unserer Partnerschaft sehr hilfreich. Zuversichtlich bin ich auch aus einem anderen Grund: Wir haben in Europa viele familiengeführte mittelständische Unternehmen, die den Mut, die Kraft und das Durchhaltevermögen für langfristige Investitionen haben. Ein Beispiel ist die Entwicklung der Extreme-UV-Belichtung von Mikrochips, über der wir schon zu meinen Studienzeiten gebrütet haben. Es hat Jahrzehnte gedauert, sie zur Marktreife zu bringen – und es ist kein Zufall, dass das europäischen Unternehmen gelungen ist.

Das Potenzial der Photonik ist schon angeklungen. Doch aktuell ist viel von Problemen in den Lieferketten zu hören. Wie lässt sich gegensteuern?

Aschke: Wir haben jüngst eine Umfrage veröffentlicht, in der über 80 Prozent der befragten Unternehmen von massiven, geschäftskritischen Problemen berichten. Im Wesentlichen geht es hierbei um Lieferverzögerungen im Bereich der mikroelektronischen und optischen Komponenten, der Rohstoffe und auch einfacher Halbleiter. Selbst bei gezüchteten Kristallen sind wir mittlerweile in Abhängigkeit von internationalen Anbietern geraten, obwohl das mal eine europäische Stärke war. Mehr als jedes zweite Unternehmen räumt hohe Abhängigkeit von Lieferungen aus China ein, die oft alternativlos sind, weil es keine hiesigen Anbieter mehr gibt. Hier müssen die Politik, Wirtschaft und Wissenschaft im Schulterschluss europäische Strategien entwickeln – und diese schnellstmöglich umsetzen. Wir müssen relevante Lieferketten zurückholen und verstärkt mit internationalen Partnern kooperieren, die unsere Werte teilen. Sonst bleiben wir abhängig, was zu empfindlichen Produktivitätseinbußen führen kann. Denn bleiben wichtige Lieferungen aus, dann brauchen wir von Lean Production und Just-in-Time-Prozessen nicht mehr zu reden. Das müssen auch die Anwendermärkte verstehen. Wir müssen gemeinsam agieren.

Dennoch wächst Europas Photonik-Industrie dreimal schneller als das Bruttoinlandsprodukt. Ist aus Ihrer Sicht ein Ende der Fahnenstange in Sicht?

Aschke: Angesichts der stark wachsenden Vielfalt an photonischen Lösungen für immer mehr verschiedene Märkte sehe ich aktuell keine Grenzen; und das tun unsere Mitglieder auch nicht. Die Photonik steht in vielen Anwendungen noch am Anfang. Selbst in Rechenzentren, in denen tausende Laser arbeiten, sind noch jede Menge Kupferleitungen durch optische Datenleiter zu ersetzen. In Kliniken, Labors, in Fabriken und auf Äckern ist das Potenzial der Photonik längst nicht erschöpft. Sie treibt die wichtigsten Transformationsprozesse unserer Zeit. Keine unserer Work-Groups klagt über einen Mangel an Ideen für photonische Innovationen. Gerade bei jungen Technologien ist Durchhaltevermögen gefragt. Es dauert oft eine Generation, bis diese breite Anwendung finden. Denn dafür braucht es Fachleute in der Konstruktion, die es gelernt haben, damit umzugehen und die Vorteile neuer photonischer Verfahren zu nutzen. Wir hatten in der Vergangenheit teils nicht den langen Atem, um das Valley of Death zu überstehen. Das Resultat: Globale Wettbewerber feiern Markterfolge mit Technologien, die wir in Europa mit viel staatlichem Fördergeld zur Reife entwickelt haben. Die Politik hat mittlerweile verstanden, dass sie Durchhaltevermögen braucht, um zu ernten, was sie in der Technologieförderung sät.

Keine Industrie kommt mehr ohne photonische Lösungen aus. Ist diese Botschaft in den relevanten Anwendermärkten und im Ausbildungsbereich angekommen?

Aschke: Es ist einer der zentralen Ansätze unserer Partnerschaft, den Anwenderbranchen das Potenzial photonischer Lösungen aufzuzeigen. Wir identifizieren frühe Anwender, betreiben Innovationen gemeinsam mit ihnen und kommunizieren die Use-Cases in die Politik. Erst wenn deren Nutzen von Anwendern, Technologiepartnern und Fördergebern verstanden wird, bilden sich produktive Innovationsnetzwerke, in denen die Ideen reifen und sich schließlich zu erfolgreichen Lösungen entwickeln können. Das ist ein partnerschaftlicher Prozess. Deshalb spreche ich auch lieber von einer Partnership als von einer Plattform, wenn ich über Photonics21 rede.