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„Photonik sichert technologische Souveränität“

Mitte Oktober richtete der Zukunftsgipfel von PHOTONICS GERMANY den Blick auf die wichtigsten Wachstumsmärkte und die Rahmenbedingungen der Photonik-Branche in Deutschland. Die Aussichten sind gut, doch der globale Wettbewerb nimmt zu.

Mit 176.000 Beschäftigten und 47 Mrd. Euro Umsatz treiben die gut 1.000 Unternehmen der deutschen Photonik-Branche Zukunftstechnologien für Schlüsselmärkte voran. Sie liefern die Kernkomponenten für nicht- oder minimal-invasive Diagnosen und für effiziente Therapien im Gesundheitswesen. Sie ermöglichen der Wissenschaft Einblicke in Mikro- und Nanokosmen auf zellulärer Ebene, minutiöse Beobachtungen und Analysen von Wetterphänomenen oder den Blick in ferne Galaxien. Industriellen Anwendern liefern sie mit Imaging- und optischen Messsystemen sowie hochpräzisen Laserbearbeitungslösungen die tragenden Säulen einer rundum qualitätsüberwachten und vernetzten Produktion. Auch in der Mobilität, Verteidigung, im Nahrungsmittelsektor sowie in der Energiewirtschaft und natürlich in der Informations- und Kommunikationstechnik gilt die Photonik als Enabler und Fortschrittstreiber.

Dank des breiten Fokus und ihrer hohen Bedeutung für so viele verschiedene Anwendungen wächst die Branche europa- und weltweit. So sind in Europa bereits 390.000 Beschäftigte in der Branche tätig, die zuletzt über 100 Mrd. Euro umsetzte. Mit 40 Prozent Marktanteil liegt Deutschland vor Frankreich und Großbritannien mit je 15 Prozent, den Niederlanden (6 %), Italien (5 %) und die Schweiz (4 %). Und wie Dr. Bernhard Ohnesorge, Geschäftsführer der Carl Zeiss Jena GmbH und Vorsitzender des SPECTARIS-Fachverbandes Photonik Mitte Oktober auf dem Zukunftsgipfel von PHOTONICS GERMANY in Berlin feststellte, bleibt die Branche trotz Pandemie, angespannter Lieferketten und zugespitzter geopolitischer Konflikte auf Wachstumskurs. „Der Corona-Effekt von 2020 ist längst überwunden. Wir sind aus dem Jahr 2021 mit 18 Prozent Wachstum herausgekommen und die Aussichten bleiben gut“, so Ohnesorge in Berlin. Die Marktforschung von SPECTARIS und TEMATYS stelle bis 2025 ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 6,5 Prozent in Aussicht. Allerdings blickte der Fachverbandsvorsitzende sorgenvoll auf den zunehmenden globalen Wettbewerb.

Positionspapier mahnt bessere Rahmenbedingungen an

Sorgen bereitet Ohnesorge, dass der Weltmarktanteil europäischer Anbieter in den letzten 15 Jahren um drei Prozent gesunken ist. Deutschland habe 1,5 Prozent Marktanteil eingebüßt. Dagegen konnte China seinen Anteil von zehn auf knapp 30 Prozent steigern. Auch die USA haben Marktanteile gewonnen. Dagegen wachse die deutsche und europäische Branche seit einigen Jahren langsamer als der Weltmarkt. „Es muss daher die Zielsetzung sein, unseren Weltmarktanteil gegenüber China und den USA zu verteidigen und auszubauen“, betonte er. PHOTONICS GERMANY hat deshalb in einem Positionspapier Vorschläge und Forderungen an die Politik formuliert. Tenor: Mehr Rückendeckung für kleine und mittlere Unternehmen, Abbau bürokratischer und steuerlicher Lasten, Ausbau der digitalen Infrastruktur sowie eine gezieltere Forschungsförderung. Denn es gehe um eine Schlüsseltechnologie mit direktem Einfluss auf über ein Zehntel der gesamten europäischen Wirtschaftsleistung. Die Breite der Anwendungen belegt die Enabler-Rolle der Photonik. „Mit ihren High-Tech-Produkte sichert sie die technologische Souveränität der europäischen Wirtschaft ab“, sagte er.

Diese Hebelwirkung haben viele Nationen erkannt und lenken entsprechend hohe Summen in die Photonik-Förderung. China hat die Fördersumme von umgerechnet 140 Mio. Euro auf 1,1 Mrd. Euro aufgestockt. In Korea beläuft sich die Photonik-Förderung auf 2,84 Mrd. Euro und auch die USA und die Niederlande stellen Milliarden-Budgets bereit; dabei steht jeweils die Forschung im Bereich der Integrierten Photonik auf der Agenda. Wie es in Deutschland mit der Photonik-Förderung weitergeht, ist dagegen laut Ohnesorge ungewiss. Obwohl die Evaluierung der Fördermaßnahmen von 2012 bis 2020 ergeben habe, dass jeder investierte Euro ein Vielfaches an Wirkung in den Anwenderbranche generiere – eine Fortsetzung also eigentlich selbstverständlich sein müsste – sei ein Umlenken der Mittel von der Photonik in die Quantentechnologien angedacht. „Die Photonik ist mitnichten ausgeforscht“, mahnte er. Sie biete immense, bisher unerschlossene Innovationspotenziale. Vor allem auf dem Gebiet neuer optischer Materialien, etwa für die nicht-lineare Optik und Einsätze über das gesamte Wellenlängenspektrum von Ultraviolett bis Infrarot hinweg, gebe es viel zu tun. Denn damit ließen sich effizientere, kompaktere Systeme realisieren und eine Basis für mikrointegrierte optische Systeme und neuartige Strahlungsquellen schaffen. Universell und flexibel nutzbare Strahlungsquellen gelten als Innovationsfeld, das neue Ansätze für die Materialforschung, die Medizintechnik und für die physikalische Grundlagenforschung verspricht. Und auch die Miniaturisierung und Mikrointegration photonischer Systeme biete noch jede Menge Raum für Innovationen und damit Marktpotenziale, die es zu heben gilt. Das Positionspapier bringt hierfür unter anderem eine Forschungsfabrik Photonik ins Spiel, die für kleine und mittlere Unternehmen Zugangsmöglichkeiten zu kapital- und wissensintensiven Infrastrukturen und Verfahren schafft.

Hebelwirkung nutzen

Diese gezielte Photonik-Förderung wird Hebelwirkung in gesellschaftlich hochrelevanten Zukunftsfeldern entfalten. Sei es eine nachhaltigere und flexiblere Produktion, die effiziente Gesundheitsversorgung alternder Gesellschaften, emissionsarme und sicherere Mobilität, der Klima- und Umweltschutz und nicht zuletzt die Nationale Sicherheit, die angesichts der globalen Konfliktherde mittlerweile in ein neues Licht gerückt ist. Es gelte die Förderung auf Missionen in diesen Zukunftsfeldern zu fokussieren, anstatt sie einseitig auf die unbestritten sehr wichtige Quantenforschung zu konzentrieren, mahnt das Positionspapier an. Für die kommenden fünf Jahre schlägt es daher neben den Fördermitteln für Quantentechnologien ein mit 800 Mio. Euro ausgestattetes, missionsorientiertes Forschungsprogramm vor. „Wir brauchen eine durchgängige Forschungs- und Entwicklungs-(F&E)-Förderung der Photonik von der Grundlagenforschung über die vorwettbewerbliche bis hin zur wettbewerblichen Forschung und Entwicklung“, betonte Ohnesorge in seiner Keynote auf dem Zukunftsgipfel.

Dr. Bernhard Ohnesorge, Managing Director of Carl Zeiss Jena GmbH