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„Perfekte Symbiose von Photonik und Automation“

Erstmals finden die Branchenleitmessen LASER World of PHOTONICS und automatica vom 27. bis 30. Juni 2023 zeitgleich auf dem Münchener Messegelände statt. Am Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT ist das Zusammenspiel von Photonik und Automation seit Jahren ein fester Bestandteil von Forschungsprojekten und Industriepartnerschaften. Im Interview spricht Axel Bauer, der als Leiter Marketing und Kommunikation die Außendarstellung und damit auch die Messepräsenzen des ILT verantwortet, über bestehende und zukünftige Anwendungsfelder der Photonik in automatisierten Prozessketten, über den weiteren Forschungsbedarf in diesem Querschnittsbereich und seine Erwartungen an die Co-Location der beiden Messen.

Herr Bauer, Laser bearbeiten und manipulieren vielfältigste Materialien berührungslos. Damit sind sie für smarte Prozesse prädestiniert, die das ILT in diversen Technologiefeldern vorantreibt. Welche Rolle spielt Automation dabei?

Axel Bauer: Automation durchdringt alle Bereiche der Lasermaterialbearbeitung. Ob Laser schneiden, schweißen, strukturieren, polieren oder Material auftragen: Sie spielen ihre Vorteile aus, wo es gelingt, sie intelligent in Produktionsprozesse einzubinden. Exakt das gewährleistet die Automation. Zentral ist dafür die Verknüpfung des Werkzeugs Licht mit intelligent gesteuerten Handling-Systemen. Die Grenzen der Produktivität setzt hierbei in der Regel nicht der Laser, sondern die Fertigungsmaschine. Das stellt uns immer wieder vor die Herausforderung, die volle Leistung und Flexibilität des Lasers durch Automation nutzbar zu machen. So auch im Additive Manufacturing per Laser Powder Bed Fusion. Als dieses Ende der 1990er maßgeblich am ILT entwickelte Verfahren im Prototyping des Werkzeugbaus Fuß fasste, galt die einhellige Meinung, dass es zwar für den Bau von einzelnen Prototypen prädestiniert sei, sich aber kaum für die Serienfertigung eigne. Doch seit einigen Jahren zeigt sich, dass Laser Powder Bed Fusion besonders für komplexe Bauteile in kleinen Serien des Flugzeug-, Automobil- und Maschinenbaus oder der Medizintechnik geeignet ist. Die Voraussetzung ist intelligente Prozessautomatisierung. Die Steigerung der Produktivität und der Stückzahlen verlangt entlang der gesamten Prozesskette nach weiteren Automatisierungsschritten. Am ILT entwickeln wir hierzu innovative Konzepte, beispielsweise verfahrbare Bearbeitungsköpfe mit lokaler Schutzgasführung, die eine einfache Skalierung der Bauraumgröße ermöglichen. Zur weiteren Produktivitätssteigerung sind Multi-Strahlquellensysteme im Einsatz. Das Marktpotenzial zeigt sich auch daran, dass von den vierzig Ausgründungen des Fraunhofer ILT ein Zehntel im 3D-Druck gestartet sind.

Worauf kommt es bei der Automation von Laserverfahren an?

Bauer: Prozesskontrolle! Beschichtungsverfahren können wir über eine Temperaturregelung online steuern. Schweißprozesse lassen sich effizient kontrollieren, wenn online-Zugriffe auf Fügeposition, Strahlqualität und die Prozesssignale möglich sind. Zunehmend fließen auch KI-Aspekte wie Machine Learning in unsere Forschungs- und Entwicklungsprojekte ein, die die Automation auf ein ganz neues Level heben. Die Verarbeitung unterschiedlicher Bauteile mit demselben Werkzeug setzt intelligente Steuerungsstrategien voraus, die bauteilspezifische Merkmale online erfassen und direkt in den Fertigungsprozess einfließen lassen. Im Zusammenspiel mit flexibler Handhabungstechnik lassen sich so äußerst anpassungsfähige Produktionslinien realisieren, die auch in Serienprozessen eine hohe Produktvielfalt ermöglichen.

Sie beschreiben einen bereits sehr hohen Automatisierungsgrad. Besteht überhaupt noch Forschungsbedarf?

Bauer: Absolut! Die Auftraggeber des Fraunhofer ILT kommen aus unterschiedlichen Branchen der produzierenden Industrie: Maschinen- und Anlagenbau, Luft- und Raumfahrt, Automobilbau, Elektro- oder Medizintechnik. Ihr Streben nach möglichst flexibler, preiswerter und robuster Fertigung ist der Treiber für fortlaufende technologische Fortschritte. Automatisierung spielt dabei eine Schlüsselrolle. Auch hier ist die additiven Fertigung ein gutes Beispiel. Die Kombination additiver und subtraktiver Verfahren verspricht ebenso hohe Wertschöpfung wie Ansätze, das Laserstrukturieren und -polieren metallischer Oberflächen in hochautomatisierten Prozessen zu kombinieren. Was bisher separater Prozesse mit unterschiedlichen Werkzeugen bedarf, ließe sich dann in einer Aufspannung mit einem Werkzeug erledigen. Forschungsbedarf besteht auch bei industriellen Ultrakurzpulslaser-(UKP)-Prozessen. Sie werden schon heute genutzt, um mikroskopische Löcher in Einspritzdüsen einzubringen, Display-Gläser für Smartphones ohne weiteren Nachbearbeitungsbedarf zuzuschneiden oder Druckwalzen zu strukturieren. Für Letzteres hat das ILT mit Industriepartnern ein Multistrahlverfahren entwickelt, das 2020 den Wissenschaftspreis des Stifterverbands für Verbundforschung erhielt. Gerade für solche flächigen Anwendungen ist eine hohe Parallelisierung der Strahlen erforderlich, um das technologische Potenzial der Hochleistungs-UKP-Laser wirtschaftlich nutzbar zu machen. Die Technologie steht erst am Anfang. Es gilt nun, die individuelle Ansteuerung hunderter paralleler Laserstrahlen und die Online-Regelung der Prozesse in Kombination mit hochautomatisierter Anlagentechnik Stück für Stück zu optimieren. Richtig aufwändig wird es in der Elektronik und Halbleitertechnik: Hier sind Laser in vollautomatisierte Prozessketten eingebunden, um zunehmend miniaturisierte Massenprodukte mit reproduzierbarer Genauigkeit zu bearbeiten. Mit der Miniaturisierung steigt der Automatisierungsgrad und auch KI-gestützte Systeme werden an Bedeutung gewinnen, weil die Fülle der Prozess- und Produktdaten nur noch mit intelligenter, schnell lernfähiger Software zu bewältigen sein wird. Auch hier ist das Fraunhofer ILT engagiert und arbeitet eng mit Lehrstühlen der RWTH Aachen und mit führenden Softwareherstellern zusammen.

Die Elektromobilität nimmt Fahrt auf. Welche Rolle spielen hochautomatisierte Laserverfahren dabei – und inwieweit ist das ILT in deren Entwicklung involviert?

Bauer: In der Batterie- und Brennstoffzellenfertigung ist der Lasereinsatz breit gefächert. Daher haben wir am Fraunhofer ILT ein eigenes Batterie-Labor und ein Wasserstoff-Labor eingerichtet, um jeweils alle möglichen und zukunftsträchtigen Laserverfahren erproben und demonstrieren zu können. Für die auftraggebenden Unternehmen geht es um Qualität, Reproduzierbarkeit und Prozessgeschwindigkeit. Um hier das Optimum herauszuholen, erproben wir ausgehend von unserem Werkstoff- und Prozess-Know-how unterschiedliche Wellenlängen je Werkstoff und passen jeweils die Strahlformung an. Meist ist nicht der Laser, sondern die Bearbeitungsmaschine der limitierende Faktor. Deshalb geht es immer auch um geeignete Prozess- und Systemkonzepte und deren softwaretechnische Umsetzung. Wichtig ist auch, dass Batteriehersteller ihre Nachweispflichten in Sachen Betriebssicherheit erfüllen können. Aus den Online-Prozesssignalen können wir nützliche Indikatoren ableiten. Bei der Optimierung dieser Prozesse setzen wir auf maschinelles Lernen. Bei Brennstoffzellen – hier in erster Linie PEM-(Polymer Electrolyte Membrane)-Zellen – liegt die Herausforderung in der Skalierung der Fertigungsvolumina. Um der Technologie zum wirtschaftlichen Durchbruch zu verhelfen, sind großserientaugliche Prozessketten mit entsprechenden Skaleneffekten gefragt.

Um photonische Verfahren in automatisierte Prozessketten einzubinden, muss Know-how aus diversen Disziplinen zusammenwirken. Wie organisiert das ILT diese Interdisziplinarität?

Bauer: Nur wenn Werkstoffwissenschaft, Produktionstechnik, Photonik und Informationstechnologie zusammenwirken, sind effektive und effiziente Automatisierungslösungen möglich. Interdisziplinarität ist daher ein zentrales Thema an unserem Institut. Jede Disziplin beleuchtet die Problemstellung aus ihrer Sicht mit ihrem Know-how. Aber wie beim guten Orchester muss ein zielorientierter Dirigent aus der Vielzahl der Beiträge ein harmonisches Ganzes generieren. Das sind bei uns die Projektleiter, die alle Fäden zusammenführen und die Richtung vorgeben. Das setzt neben der Fachkompetenz hohe Methodenkompetenz und Kommunikationsfähigkeit voraus, welche wir durch Fortbildungsmaßnahmen gezielt schulen. Erfahrene Senior-Wissenschaftler sind dadurch in der Lage, sehr große und komplexe Projekte mit Multi-Millionen-Euro Budgets zu managen. Für Auftragsprojekte aus der Industrie ziehen sie oft unterschiedlichste Kompetenzen zusammen. So sind in die Entwicklung von online gesteuerten Laserprozessen neben den Laserexperten teils Spezialisten für Simulation, Sensorik, Automation und Verfahrenstechnik involviert. Die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit spiegelt auch der Aachener Campus wider: in unmittelbarer Nähe zum Fraunhofer ILT nahm 2020 das Research Center Digital Photonic Production den Betrieb auf. Unter Federführung des Lehrstuhls für Lasertechnik LLT arbeiten hier sechs Fakultäten an Digitalisierungsthemen rund um die photonischen Produktion. Das Spektrum reicht von der Materialforschung für den 3D Druck über die adaptive Fertigung komplexer optischer Systeme oder die Ultrapräzisionsbearbeitung bis hin zur laserbasierten Biotechnologie und Medizintechnik. Gleich nebenan bietet das Industry Building Digital Photonic Production Räume für die Kooperation von Wissenschaft und Industrie. Unternehmen können sich hier niederlassen, um neue Komponenten, Systeme, Verfahren, Prozessketten oder Geschäftsmodelle im Bereich der optischen Technologien zu entwickeln. In Open-Space Strukturen und gemeinsam belegten Labors interagieren gemischte Teams aus Industrie und Wissenschaft – auch vom ILT und LLT. Photonik und Automation bilden hierbei oft eine perfekte Symbiose für die Weiterentwicklung der Produktion von morgen.

Die Verbindung von Photonik und Automation gilt auch als Treiber der Industrie 4.0. Werden die beiden Querschnittstechnologien künftig noch enger zusammenrücken?

Bauer: Die Automation der Produktion wird ja schon seit Jahrzehnten vorangetrieben. Ähnlich verhält es sich mit der Lasertechnik beziehungsweise der photonischen Produktion. Diese stetige Entwicklung gewinnt aber jetzt deutlich an Fahrt: Neue Teilbereiche der Digitalisierung wie Cloud-basierte Dienste, Digitale Zwillinge oder auch Künstliche Intelligenz öffnen insbesondere für die Produktionstechnik interessante Potenziale. An der RWTH Aachen ist im Exzellenzcluster „Internet of Production“ ein Datencenter zur Steuerung und Kontrolle industrieller Prozesse entstanden. Rund 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem vom Fraunhofer ILT waren daran beteiligt. Ausgangspunkt war eine Steuerung von zahlreichen Lasersystemen, die unser Institut entwickelt hat. Sie nutzte die Open-Source-Software Kubernetes zunächst, um neu verbaute Lasersysteme binnen Minuten aus der Ferne installieren und steuern zu können. Im Exzellenzcluster der RWTH Aachen wird übergreifend an der Digitalisierung der Fertigungstechnik gearbeitet. Ein Ziel ist die echtzeit-fähige und sichere Bündelung relevanter Daten aus verschiedenen Quellen. Daran sind 35 universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen und über 50 Firmen und Verbände beteiligt. Es geht um die hochautomatisierte Produktion der Zukunft.

Die Messe München richtet die LASER World of PHOTONICS und ihre internationale Leitmesse für intelligente Automation und Robotik – automatica im Juni 2023 erstmals zeitgleich aus. Wie sehen Sie die Co-Location beider Messen?

Bauer: Die Co-Location verspricht zahlreiche Synergieeffekte für die Besucher und Aussteller sowie für die begleitenden technologischen Foren. Die Vorteile für Besucher sind offensichtlich: Kurze Wege zwischen den Messen und die Möglichkeit, beide Aspekte der photonischen Produktion zu erfassen – also Laserstrahlquellen, -komponenten und -verfahren auf der einen Seite und Automation inklusive der zugehörigen Systeme und Softwaretools auf der anderen. Das dürfte Produktionsverantwortliche, Spezialisten, Strategen und Entwicklungsingenieure aus verschiedensten Branchen erfreuen. Zudem ist zu erwarten, dass die Aussteller ihrerseits die jeweils andere Sicht der Dinge – also im Falle eines Laserherstellers die Automatisierung – stärker beleuchten, da sie ja nun mit den entsprechenden Besuchern rechnen müssen. Das öffnet Aktionsräume für neue Themen auf dem eigenen Messestand und wird sicherlich weitere Aussteller aus dem In- und Ausland nach München locken. Insbesondere der hohe Auslandsanteil beider Messen – bei den Ausstellern wie auch bei den Besuchern – fördert diesen Synergieeffekt. Nicht zuletzt wird die Co-Location die Themensetzung der Fachforen beider Messen beeinflussen und auch hier inhaltliche Synergien zu Tage fördern. Auch das steigert den Reiz der Gesamtveranstaltung und bietet einen Mehrwert für Besucher.

Das Fraunhofer ILT zählt zum festen Ausstellerstamm der LASER. Was versprechen Sie sich davon, künftig auch automatica-Fachbesucher an Ihrem Messestand begrüßen zu können?

Bauer: Für uns dürfte die Co-Location beider Messen einen deutlichen Mehrwert generieren, weil wir uns ja mit der Automation photonischer Prozesse befassen. Digital Photonic Production ist nichts anderes als die intelligente Steuerung einer besonderen Form des Lichts. Wenn das möglichst schnell, flexibel und automatisch gelingt, wird unsere Vision Realität.