EN

Ein weitverzweigtes Photonik-Ökosystem in Indien

Die indische Hind High Vacuum (HHV) Group entwickelt und fertigt mit rund 750 Beschäftigten weltweit Vakuumöfen, hochpräzise optische Komponenten sowie kundenspezifische Anlagen zur chemischen (CVD) und physikalischen (PVD) Dünnschichtabscheidung. In einem Joint Venture mit der indischen ASM Technologies betreibt sie Indiens erste Produktionsstätte für Ausrüstungen von Solar- und Halbleiterfabriken, die Systemkomponenten, Subsysteme und Werkzeuge herstellt. Im Interview spricht HHV-Vorstandsmitglied und Geschäftsführerin von HHV Advances Technologies, Smriti Sakhamuri, über die Perspektiven der Photonik-Industrie Indiens, Entwicklungen in der Vakuum- und Dünnschichttechnologie sowie die Bedeutung von Messen wie der Laser World of Photonics India für die dortige Photonik-Community.

© HHV

Frau Sakhamuri, können Sie uns die Hind High Vacuum (HHV) Group bitte kurz vorstellen?

Smriti Sakhamuri: Wir sind ein 60 Jahre altes Unternehmen, das Pionierarbeit bei der Herstellung von Vakuumpumpen, Solarpaneelen, kryogenen Behältern sowie Vakuumöfen in Indien geleistet hat. Wir waren Indiens erstes Unternehmen für Vakuumwissenschaft und -technologie. Mein Großvater S. V. Narasaiah gründete HHV im Jahr 1965 als Start-up aus dem Indian Institute of Science heraus. Er war von dem Traum getrieben, Zoom-Objektive herzustellen. Er hatte die frühere UDSSR bereist und mit seiner Kamera Spuren des 2. Weltkriegs dokumentiert. Zurück in Indien wollte er die Herstellung von Zoom-Objektiven beginnen, doch zentrale Technologien – etwa Vakuumbeschichtungsanlagen – waren nicht verfügbar. Er begann zusammen mit dem Direktor des Indian Institute of Science, selbst Lösungen zu entwickeln. Indien war seinerzeit ein sehr armes Land. Der Zugang zu Materialien und das Wissen über Dünnschicht-, optischen und Vakuumtechnologien war limitiert. Doch angetrieben von seinem Traum gelang es, Indiens erste Vakuumpumpen und Dünnschichtbeschichtungsanlagen zu entwickeln und unser Unternehmen aufzubauen.

Die HHV-Group ist in zwei Technologiefeldern aktiv: Vakuumöfen und Coating-Anlagen auf der Basis verschiedener CVD-(Chemical Vapour Deposition) und PVD-(Physical Vapor Deposition)-Verfahren. Wie kam es zu dieser Schwerpunktsetzung?

Sakhamuri: Anfangs, in der kostenintensiven Entwicklungsphase, waren die finanziellen Mittel knapp. Um Cashflow zu generieren, begannen wir, Systeme und Maschinen an externe Kunden zu liefern. So haben sich die vier Unternehmen unsere Gruppe entwickelt: HHV Thermal Technologies stellt große Vakuumöfen, Graphitierungs- und Silizierungsöfen für Kohlenstoffverbundwerkstoffe und obendrein Weltraumsimulationskammern her. HHV Advanced Technologies Dünnschichtlösungen, darunter die CVD- und PVD-Beschichtungsanlagen, Präzisionsoptiken sowie Coating-as-a-Service. Den Vertrieb und Service unserer Dünnschicht-Beschichtungsanlagen organisiert die in Großbritannien ansässige HHV Ltd. Hinzu kommt unser Joint Venture mit dem in Indien ansässigen Engineering-Spezialisten ASM Technologies. Es stellt Werkzeuge und Subsysteme für die Halbleiter- und Solarbranche her. Insgesamt haben wir drei Produktionsstätten in Bangalore, rund 750 Mitarbeiter und ein weltweites Netz von Vertriebspartnern. Der Traum meines Großvaters, Zoom-Objektive zu bauen, ist in Erfüllung gegangen – und wir bieten die erforderliche Dünnschicht- und Vakuumtechnologie an. Anfangs hielt man ihn für verrückt: Ein Hightech-Start-up in einem unterentwickelten Umfeld mit wenig Ressourcen, vielen Einschränkungen und Embargos zu gründen! Aber er war überzeugt, dass Indien einheimische Technologien braucht. In enger Kooperation mit Universitäten und Forschungslabors ist es gelungen, alle Herausforderungen zu meistern. Nach und nach hat unsere Gruppe Meilensteine wie die erste Beschichtungsanlage oder die erste Weltraumsimulationskammer Indiens erreicht.

Liefern Sie Ihre Lösungen vor allem innerhalb Indiens – oder auch weltweit?

Sakhamuri: Über die Jahre haben wir uns zunehmend auf internationale Standards konzentriert, um Anforderungen globaler Märkte zu erfüllen. Heute stellen wir Dünnschichtbeschichtungsanlagen für weltraumqualifizierte Komponenten her. Dieser Fokus auf Qualität hat auch dazu geführt, dass wir die führenden Produktionsanlagen für Vakuumkolben und Solarmodule in Indien betreiben – und immer mehr globale Kunden finden, für die wir vakuumtechnische Komponenten wie etwa Diffusionspumpen produzieren. Wir bieten also zugleich heimische Technologien für indische Firmen an und schließen bestehende Versorgungslücken und liefern kundenspezifische Hightech-Lösungen in die ganze Welt: seien es Vakuum-Aluminiumlötöfen für die weltgrößten Scheinwerferhersteller oder große Rotations-Vakuumlötöfen für kryogene Triebwerke, die für den Start von Satellitenträgerraketen verwendet werden. Mit einigen globalen Kunden arbeiten wir seit über drei Jahrzehnten zusammen. Und einige unserer Dünnschichtanlagen gehören zur Standardausrüstung an Universitäten und Forschungslabors mit tausenden Installationen weltweit.

In der Vakuumtechnik bieten Sie neben Standardanlagen auch kundenspezifische Lösungen an. Für welche Branchen arbeiten Sie – und wo sind Ihre Sonderlösungen besonders gefragt?

Sakhamuri: Ein Beispiel für unsere hochgradig maßgeschneiderten Lösungen ist die Beschichtung von Spiegeln für Großteleskope. Indien hat starke Raumfahrt- und Astrophysikprogramme. Unsere Beschichtungslösungen erlauben die Herstellung von Spiegeln mit bis zu vier Metern Durchmesser; wir sind zudem an einem internationalen 30-Meter-Projekt auf Hawaii beteiligt. Die kundenspezifisch beschichteten Optiken liefern wir an Kunden in Großbritannien, Italien, Deutschland, Frankreich, sowie in Asien und den USA. Gefragt sind auch Laser-Safety-Anwendungen, Linsen für die Kinematographie oder Komponenten und ganze Baugruppen für UV-Lampen. Wir liefern unter anderem in die Luft- und Raumfahrt, die Automobilindustrie, die Medizintechnik sowie an Universitäten und Forschungsinstitute. In einigen Fällen gelingt es uns, hochindividuelle Lösungen in standardisierte Produkte für ein breites Spektrum von Kunden und Branchen zu übersetzen, die wir in Serie fertigen. In der Raumfahrt und Optikindustrie sind Produkte aber fast durchweg kundenspezifisch ausgelegt.

Bei CVD- und PVD-Beschichtungsverfahren handelt es sich um fortschrittliche Technologien. Wo sind Ihre Systemlösungen im Einsatz?

Sakhamuri: Bei PVD haben wir internes Fachwissen, das von der Herstellung der ersten indischen Beschichtungsanlage herrührt. Später haben wir Anlagen für das Dünnschichtgeschäft von Edwards hergestellt, welches wir im Jahr 2009 übernommen haben. Seither werden deren Maschinen weltweit unter der Marke HHV verkauft. Wir arbeiten eng mit Universitäten und Forschungslabors hier in Indien zusammen, um CVD- und PVD-Lösungen zu entwickeln und optimieren. Kürzlich ist es uns gelungen, zusammen mit einem der führenden indischen F&E-Institute in diesem Bereich die erste einheimische Ionenstrahl-Sputteranlage (IBS) zu realisieren. Auf dem Gebiet des reaktiven Sputterns arbeiten wir aktuell mit einem globalen Hersteller von Smartphones zusammen, der Produktionsanlagen in Indien plant und eine Lieferkette mit einheimischen Partnern aufbaut. Auch bei CVD-Verfahren beteiligen wir uns an gemeinsamen Innovationsprozessen mit F&E- und Industriepartnern.

Welche Rolle spielt die Photonik heute in Indien – und wie schätzen Sie ihr Markpotenzial ein?

Sakhamuri: Ehrlich gesagt ist die Photonik bisher noch ein recht kleines Segment in der indischen Produktionslandschaft. Erst recht gemessen am globalen Multi-Milliardenmarkt für Photonik. Indien produziert hohe Stückzahlen an Telefonen oder Laptops. Aber die einheimischen Maschinen zur Herstellung von Halbleitern, Beschichtungen, Optiken oder für die Wärmebehandlung machen bisher einen verschwindend geringen Teil des indischen BIP aus. Unsere Regierung hat das Potenzial aber erkannt und handelt. Im Jahr 2021 schätzte eine Studie den Wert der indischen Photonikindustrie auf 3,5 Milliarden US-Dollar und prognostizierte jährliche Wachstumsraten von 12 bis 15 Prozent. Unsere Branche befindet sich auf einem sehr dynamischen Wachstumspfad.

Liegen diese Einschätzungen auch den Aktivitäten mit ASM Technologies im Halbleitermarkt zugrunde?

Sakhamuri: Der Grund für die Gründung des Joint Ventures ist die Tatsache, dass immer mehr global Player in Indien produzieren. Internationale Telekommunikations-, Halbleiter-, Bildverarbeitungs- oder auch Kompressor-Hersteller arbeiten konsequent daran, in und um Bangalore Produktionsstätten und das zugehörige technologische Umfeld mit F&E-Labors und Testeinrichtungen aufzubauen. Vor dem Hintergrund haben wir entschieden, als führende Vakuum- und Dünnschichtmarke eigene Schritte für den Eintritt in den Halbleiter- und Solarmarkt zu unternehmen. Die Regierung unterstützt die "Make in India"-Strategie und den Aufbau eines Ökosystems hier. Wir wollen nicht konkurrieren, sondern mit Global Playern zusammenarbeiten und sie mit unserem heimischen Ökosystem zusammenbringen, das wir in den letzten 60 Jahren aufgebaut haben.

Welche Bedeutung kommt der Laser World of Photonics India beim Auf- und Ausbau der photonischen Industrie zu?

Sakhamuri: Messen sind sehr wichtig, vor allem solche mit starkem Markenwert. Die Laser World of Photonics findet in mehreren Ländern statt, zieht führende globale Marken an und ist gut organisiert. Dass wir auf dieser Messe vertreten sind, signalisiert der weltweiten Photonik-Community, dass es in Indien Hightech-Unternehmen wie HHV gibt. Vor diesem Hintergrund haben wir kürzlich den Schritt gewagt, an der LASER in München teilzunehmen. Mit ihrer starken Markenbekanntheit und ihrem Wert spiegelt sie unserer Meinung nach die gleichen Prinzipien und die gleiche Philosophie wider, die wir als Unternehmen haben. Zuletzt war die Verbindung mit der electronica hier in Indien ein großer Erfolg mit einer Rekordzahl von Besuchern. HHV hat während der Laser World of Photonics India eine hochkarätige Delegation mit 35 CEOs führender japanischer Vakuumtechnologieunternehmen über die Japanese Vacuum Association empfangen, was ohne diese Messe nicht möglich gewesen wäre.

Gestatten Sie noch eine etwas persönlichere Frage: Sind Sie in Ihrer Heimat als junge Frau im Vorstand eines Technologieunternehmens eine Ausnahme – oder werden die Führungsetagen mittlerweile durchlässiger für weibliche Fachleute?

Sakhamuri: Eigentlich hatte ich nicht vor, bei HHV einzusteigen. Ich bin Wirtschaftswissenschaftlerin und Mathematikerin, habe lange bei der Weltbank gearbeitet und hatte vor, das für den Rest meines Lebens zu tun. Was mich dennoch ins Familienunternehmen gezogen hat, war die Philosophie: Es geht unserer Familie nicht nur um den Aufbau von heimischem Know-how, sondern auch um eine soziale Mission: Wir möchten jeden Menschen, der hier arbeitet, voranbringen. Ich kam vor sechs Jahren mit 29 Jahren zu HHV. Frauen sind in unserer Branche rar. Die Fertigung im Allgemeinen und in der Photonik ist eher von Männern dominiert - nicht nur in Indien, sondern weltweit. Aber in Indien ist die Kluft noch größer, vielleicht auch, weil es so wenige Technologieunternehmen gibt. Dennoch treffe ich in letzter Zeit öfter Frauen in Führungspositionen, sowohl in größeren Unternehmen als auch in Forschungs- und Entwicklungslabors. Es hat mich auch angenehm überrascht, dass auf unserer letzten Konferenz am Indian Institute of Science ein "Women in Optics Panel" stattfand. Es sind mehr Frauen in der Forschung tätig, als ich erwartet hatte. Unsere Branche beginnt, Führungspositionen mit Frauen zu besetzen, da die Unternehmen erkennen, dass Vielfalt ein Vorteil ist und dass die weibliche Perspektive wichtig ist, um Lösungen zu entwickeln, die für alle Kunden passend sind. Ich gehe davon aus, dass wir in Zukunft viel mehr weibliche Führungskräfte sehen werden, weil jetzt viele Hindernisse, die sie am Aufstieg hinderten, beseitigt werden. Bei HHV spielen Frauen seit jeher eine wichtige Rolle. Ich hatte das Glück, wunderbare hochqualifizierte Mentorinnen zu finden, als ich in das Unternehmen eintrat. Nun habe ich die Möglichkeit, unsere 750 Mitarbeiter ganz konkret zu fördern - sei es durch Bildungsmaßnahmen für ihre Kinder, das Angebot von Karrieremöglichkeiten oder das Schaffen von Jobs in unseren Technologiefeldern.

Der Traum Ihres Großvaters ist auf verschiedene Weise wahr geworden. HHV kann nun Zoom-Objektive und die dafür erforderlichen technologischen Bausteine herstellen. Zudem hat sein Handeln Ihr ganz persönliches Zoom-Objektiv aktiviert: Sie haben sich in das Leben von 750 Personen und ihren Familien hineingezoomt - mit sehr konkreten Ergebnissen. Vielleicht war das nicht seine Intention, aber es ist ein Resultat seiner unternehmerischen Initiative.

Sakhamuri: Das ist eine wunderbare Art, auf sein Lebenswerk und auf die Geschichte unseres Unternehmens zu blicken.