Jenn Cable ist seit 2021 Präsidentin von Thorlabs. Seit ihr Vater Alex Cable das Unternehmen im Jahr 1989 gründete, ist es zu einem globalen Anbieter und Hersteller von photonischen Lösungen mit mehr als 3.000 Beschäftigten gereift. Im Interview spricht sie über ihren Weg in die Unternehmensleitung, über Thorlabs Entwicklung zum global agierenden Lösungsanbieter mit Fokus auf Quantentechnologien, optische Telekommunikation, Fabrikautomation oder Umwelt-Sensorik und andere Zukunftsmärkte. Zudem spricht sie über die Bemühungen, den ökologischen Fußabdruck zu minimieren sowie über die Relevanz der Werte und Kultur für den Erfolg des Unternehmens.
Frau Cable, würden Sie uns Thorlabs bitte kurz vorstellen?
Jenn Cable: Gerne. Thorlabs wurde 1989 mit Fokus auf die Photonikforschung gegründet. Seitdem haben wir unsere Fertigungskapazitäten stetig ausgeweitet und bieten heute eine breite Palette von Lösungen an. Wir fertigen Produkte, Komponenten, Tools und Instrumente. Teils vertreiben wir sie über unseren Katalog, auf den ich in der Photonik-Community oft angesprochen werde und der einst als vierseitiger Flyer startete, den meine Großmutter von Hand gezeichnet hat. Mittlerweile entwickeln wir immer mehr kundenspezifische Lösungen und unterstützen Kunden in deren Produktentwicklung sowie bei der Suche nach innovativen photonischen Lösungen. Viele unserer Kunden arbeiten zuerst im Studium mit Thorlabs-Lösungen und nehmen diese mit, wenn sie später in die Industrie wechseln – was uns sehr ehrt. Auch wenn unser Industriegeschäft zunimmt, behalten wir unsere starke Position im Forschungsbereich. Als mein Vater gründete, hatte er sich selbst als idealen Kunden im Sinn. Er arbeitete im Chu-Lab des späteren Nobelpreisträgers für Physik von Dr. Steven Chu, der in den Bell Labs in Holmdel, NJ, Methoden zur Kühlung und zum Einfangen von Atomen mit Lasern entwickelte. Mein Vater hat seinerzeit eine Marktlücke erkannt und trat an, um sie zu füllen. Nach und nach baute er ein Netzwerk in Europa und Asien auf, aus dem sich vollwertige Geschäftseinheiten entwickelten. Heute fertigen sie selbst Produkte und erfüllen die Bedürfnisse lokaler Kunden. Wir sind ein globales Unternehmen mit über 3.000 Beschäftigten, aber jedes unserer Teams ist lokal fest verankert.
Sie kennen das Unternehmen seit Ihrer Kindheit. Wann fiel Ihr Entschluss, einzusteigen?
Cable: Ich war ein Kleinkind, als mein Vater gründete. Thorlabs war immer Teil meines Lebens. Ich erinnere mich an ein Zimmer voller Laborgeräte in unserem Haus. Wir liebten die Displays mit all den Wellen und Zahlen und hörten meinem Vater gebannt zu, wenn er über Licht sprach. In der Firma zu sein, war eine Möglichkeit, Zeit mit ihm zu verbringen. Denn als Gründer arbeitete er viel. Später habe ich jeden Sommer in den Schulferien bei Thorlabs gearbeitet, Produkte montiert und in verschiedenen Funktionsbereichen mitgewirkt. Dennoch entschied ich mich zunächst für eine Karriere außerhalb der Photonik-Industrie. Ich arbeitete für gemeinnützige Organisationen und in der HealthCare-Branche, wo ich in einem Unternehmen strategische Initiativen und Veränderungsprozesse leitete. Aber ich hatte immer im Sinn, die Welt zu verbessern. Den größten Einfluss auf das Leben der Menschen hat es, die Qualität ihrer Arbeitsplätze zu verbessern und ein angenehmes Arbeitsklima zu schaffen. Mit diesem Ziel kehrte ich zu Thorlabs zurück. Ich wollte das Unternehmen verstehen und mit unserem weltweit stark gewachsenen Team ein inspirierendes, sinnstiftendes Arbeitsumfeld schaffen. Anfangs rotierte ich durch verschiedene Funktionsbereiche; immer auf der Suche nach Möglichkeiten, das Geschäft zu verbessern, Prozesse zu standardisieren und die Infrastruktur auszubauen, um Marktanforderungen besser erfüllen zu können. Auch Automation und Wissensmanagement standen auf meiner Agenda.
Sie sind seit 2020 Präsidentin. Mit welchen Plänen und Visionen habe Sie das Amt angetreten?
Cable: Ich habe es mitten in der Pandemie übernommen. Darauf lag unmittelbar der Fokus. Es ging darum, Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen und mit dem Lockdown fertig zu werden. Unter anderem blieben die Aufträge aus dem Forschungssektor, weil alle Institute menschenleer waren. Aber uns war klar, dass danach eine Auftragsspitze kommen würde, auf die wir uns trotz der Lieferkettenprobleme in dieser Zeit vorbereiten mussten. Einen zweiten Fokus legte ich auf unsere Firmenkultur, um unsere Organisation an die gewachsene und veränderte Belegschaft anzupassen, neuere Beschäftigte mit unseren Normen und Werten vertraut zu machen und ein einladendes Arbeitsklima zu schaffen, das jede und jeden Einzelnen in ihrer Einzigartigkeit respektiert und wertschätzt. In dieser Zeit haben wir zudem klarere Verantwortlichkeiten und Entscheidungsprozesse eingeführt und Erwartungen klarer formuliert. Mit diesen systematischen Veränderungen gingen Optimierungen unserer Infrastruktur, Produktion und deren Skalierbarkeit einher. Wir mussten effizienter werden, um die Grundlagen für künftiges Wachstum zu legen. Zumal es immer schwieriger wird, qualifizierte Fachkräfte zu finden.
Sie richten Thorlabs verstärkt auf Zukunftstechnologien wie die optische Telekommunikation, Quantentechnologien, Fabrikautomation und Umweltsensorik aus...
Cable: ...das ist mein dritter und spannendster Schwerpunkt als Thorlab-Präsidentin. Wir positionieren uns so, dass wir diese Emerging Technologies nicht nur verstehen, sondern auch gestalten können. Dafür investieren wir in unser Team und unser Geschäft. Wir wollen an vorderster Front mitwirken, die Photonik weiterentwickeln und unsere Chancen wahrnehmen. Aktuell erleben wir einen Boom beim Quantencomputing, weil viele Hersteller auf Thorlabs-Komponenten setzen. Ich habe einige besucht und ihre Prototypen gesehen. Es gibt einen starken Trend zur Miniaturisierung, anspruchsvollerem Packaging und photonisch integrierten Schaltungen (PIC). Das wird unsere Branche verändern. Die Bedeutung vieler etablierter photonischer Komponenten nimmt ab. Wir müssen anspruchsvollere Produkte entwickeln und ihre Rolle in den aufstrebenden Märkten hervorheben. Auch bieten wir es unseren Kunden an, dass sie ihre anspruchsvollen Werkzeuge und Instrumente über unsere Kanäle vertreiben können. Und wir versorgen Partner mit photonischem Know-how und bieten ihnen Module und Komponenten aus unserer "Photonic Engine" an. All das ist spannend und herausfordernd, denn wir müssen die Balance zwischen maßgeschneiderten Lösungen und Katalogprodukten finden. Dazu gilt es, täglich viele kleine und große strategische Entscheidungen zu treffen. Auch müssen wir besser kommunizieren, wie die Photonik den Fortschritt ermöglich. Viele Menschen haben keinen Draht zur Physik, sind aber von den Anwendungen wie der Umweltsensorik, medizinischen Bildgebung oder dem Quantencomputing fasziniert. Diese Resonanz trägt wiederum zu einem positiven, sinnvollen und dynamischen Arbeitsumfeld bei.
Wie wichtig ist es, mit Partnerunternehmen wie Menlo, Infleqtion, Sensirion oder Praevium zusammenzuarbeiten?
Cable: Diese Partnerschaften und Projekte sind unglaublich wichtig. Unsere Branche lebt vom Geist der Zusammenarbeit. Es macht wirklich Spaß, Teil dieser Community zu sein. Das Miteinander treibt die Dynamik unserer Innovation. Mithilfe unserer strategischen Partner können wir die Bedürfnisse unserer Kunden besser erfüllen. Wobei es unterschiedliche Modelle der Zusammenarbeit gibt. Wir ergänzen uns gegenseitig und teilen unser Wissen. Sie haben Know-how und Perspektiven, die uns stärken – und umgekehrt.
Ist die Konzentration auf Zukunftstechnologien eine Reaktion auf die zunehmende Stärke der Photonik-Anbieter aus China?
Cable: Wir sollten nicht über starke Konkurrenz klagen, sondern unsere Produkte und Strategien verbessern. Chinesische Unternehmen bieten hervorragende Produkte an. Die frühere Annahme, dass sie geringere Qualität oder weniger ausgefeilte Technik liefern, hat sich als falsch erwiesen. Zudem können sie ihren heimischen Markt besser bedienen als US-amerikanische und europäische Unternehmen; dies auch aufgrund der Exportbeschränkungen. Aber aus meiner Sicht gibt es für uns dennoch gute Perspektiven im chinesischen Forschungs- und Industriemarkt.
Thorlabs China hat sich seit seiner Gründung im Jahr 2010 sehr dynamisch entwickelt. Welche Rolle spielt der Standort in Ihren globalen Aktivitäten?
Cable: Wir haben dort ein großartiges Team mit über 200 Beschäftigten. China hat eine sehr hoch entwickelte und gut finanzierte Forschung in den Biowissenschaften. Dieser Markt ist sehr spannend für uns. Wie in jeder Region agieren wir vor Ort mit einem Team aus einheimischen Expertinnen und Experten, die die Bedürfnisse der Kunden und deren Kultur wirklich verstehen. Dieser Ansatz hat sich als sehr erfolgreich erwiesen.
Noch etwas fällt auf. Sie setzen auf Vielfalt und Inklusion. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Cable: Jeder Mensch ist einzigartig und bringt eigene Perspektiven ein. Wir sind alle Teil derselben Gemeinschaft – und ich sehe es als entscheidend für unseren zukünftigen Erfolg an, dass sich alle unsere Beschäftigten respektiert und wohl fühlen. Das möchte ich auch selbst. Zudem gibt es jede Menge Studien, die belegen, dass diverse, inklusive Teams bessere Leistungen erbringen. Je mehr Perspektiven in unsere Produktentwicklung eingehen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir etwas übersehen. Kürzlich wies uns ein farbenblinder Mitarbeiter auf sein Problem hin, dass er grüne und rote Kontrolllampen nicht unterscheiden kann. Oft ist es so einfach, aber man merkt es nicht, solange alle die gleichen Erfahrungen, Fähigkeiten und Hintergründe haben. Unsere Branche konkurriert zudem mit den Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley um Talente. Wir müssen eine offene, attraktive Kultur bieten, die Nachwuchskräfte anzieht und in ihrer Einzigartigkeit respektiert. Ich hoffe auch, dass ich als weibliche Führungskraft in der Photonik ein Signal an andere Frauen und Mädchen senden kann: Unsere Branche bietet großartige Möglichkeiten, um Gutes zu bewirken.
Sie arbeiten auch daran, den ökologischen Fußabdruck zu minimieren…
Cable: Wir haben vor drei Jahren damit begonnen, unsere Umweltauswirkungen und unseren CO2-Fußabdruck zu erfassen. Das ist komplex und macht unglaublich viel Arbeit, aber unser Team trägt den Gedanken mit, weil uns der Umweltschutz wichtig ist. Wir haben Sonnenkollektoren installiert, den Strombezug auf erneuerbare Energien umgestellt, kompostieren und reduzieren den CO2-Fußabdruck in unserem Lieferverkehr. Es geht Schritt für Schritt voran. Auch beteiligen wir uns an der von den Vereinten Nationen geförderten „Science-Based-Target“-Initiative, die Standards festlegt, die mit dem 1,5-Grad-Ziel in Einklang stehen. All das ist wichtig, wirkt sich positiv auf unsere Kultur aus und senkt zudem unsere Kosten. Außerdem fragen immer mehr Kunden nach dem Carbon-Footprint unserer Produkte. Wir müssen ihn messen, dokumentieren und entsprechende Daten zur Verfügung stellen, um auch in Zukunft Aufträge von ihnen zu erhalten.
Welche Rolle kann die Photonik bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen?
Cable: Es ist fast schon in Vergessenheit geraten, dass Photovoltaik eine photonische Technologie ist. Es ist großartig, dass ihre Kosten so schnell sinken und sie eine zentrale Quelle erneuerbarer Energie geworden ist. Die Photonik bietet daneben exzellente Technologien für das Umweltmonitoring an. Die Herausforderungen sind nicht mehr technologischer, sondern regulatorischer und ökonomischer Natur. Die Lösungen müssen den Weg in die Märkte finden. Um die Herausforderung des Klimawandels zu lösen, müssen wir die Emissionen überwachen und kohlenstoffneutrale Technologien einsetzen. Das wird nicht von selbst geschehen. Wir brauchen entschlossene Regierungen und klare Vorschriften. Die Photonik hat viel zur Lösung dieses drängenden Problems beitragen. Ich bin gespannt, welche Rolle unsere Branche hier übernehmen kann.