Osteuropa ist auf der LASER World of PHOTONICS stark vertreten. Die Photonik-Industrie wächst dort auch dank einer aufstrebenden Gründerszene, die ihre Wurzeln in Hochschulen und Forschungsgesellschaften hat. Im Blickpunkt diesmal: Polen.
Ein halbes Dutzend osteuropäischer Länder werden in fünf Tagen auf der LASER World of PHOTONICS (26.–29. April 2022) vertreten sein. Ob allerdings auch Crys-Teh LLC aus dem umkämpften ukrainischen Dnipro in München sein wird, ist ungewiss. Daher Spot an: Das Start-up ist auf das Züchten und Verarbeiten von Tellurdioxid-(TeO₂)-Kristallen spezialisiert, die in akusto-optischen Modulatoren (AOM) und Polarisationsoptiken eingesetzt werden.
„We stand with Ukraine“ gilt auch für das Crys-Teh-Team. Blau-Gelb hinterlegt bekunden fast alle osteuropäischen LASER-Aussteller ihre Solidarität. Seit dem 24. Februar, dem Tag des russischen Einmarschs in die Ukraine, grenzen ihre Länder an die Kriegszone. Allein Polen hat seither 2,3 Millionen Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Jenes modernisierte Polen, dessen Solidarność-Bewegung in den 1980er Jahren großen Anteil am Fall des Eisernen Vorhangs hatte – und in dem seither eine hoch moderne Photonik-Industrie wächst. Die 36 führenden Unternehmen, Start-ups, Hochschulen und Forschungsinstitute und auf der Polska Platforma Technologiczna Fotoniki (PPTF) zusammengeschlossen. Sieben von Ihnen werden auf der LASER 2022 auf dem polnischen Gemeinschaftsstand (Halle B4.431) vertreten sein. Zudem sind die polnischen Einzelaussteller Solaris Optics, VIGO Photonics und Perspectiva Solutions mit eigenen Ständen vertreten.
Das Netzwerk der polnischen Photonik-Industrie entspannt sich um einen wissenschaftlichen Kern, den mehr als ein Dutzend Fakultäten der Technischen Universität und Militäruniversität für Technologie WAT in Warschau, sowie der Universitäten Breslau, Gdansk, Krakau, Lublin und Toruń bilden. International vernetzt betreiben dort Forschergruppen photonische, opto-elektronische und quantenphysikalische Grundlagenforschung sowie auch anwendungsnahe Forschung. Letztere ist eigentlich eher das Metier der Łukasiewicz Forschungsgesellschaft mit ihren 32 Instituten. Darunter das Institut für Mikroelektronik und Photonik in Warschau, das 2020 aus der Fusion des 1966 gegründeten Instituts für Elektronentechnologie und des seit 1978 bestehenden Instituts für Elektronische Materialien hervorging. Seit den 1950ern begann in Polen der Aufbau einer Halbleiter- und Mikroelektronik-Fertigung, zu der die zwei Institute in der Folge entscheidendes Know-how lieferten.
Viele seit den 1990er Jahren entstandenen Photonik-Unternehmen haben ihren Ursprung in diesem wissenschaftlichen Branchenkern. Darunter die beiden Mittelständler Solaris Laser und Solaris Optics. Letzterer ist ein global agierender Spezialist für Linsen, Spiegel, Filter und viele weitere optische Komponenten, dem Branchenkenner herausragende Expertise in Dünnfilmtechnologien bescheinigen. Dies auch für Infrarot-Optiken. Gerade im IR-Bereich sieht Maciej J. Nowakowski, Geschäftsführer der PPTF, eine polnische Stärke. „In der Nah-Mid-Infrarot-Detektion haben wir eine lange Forschungstradition“, sagt er. Darauf aufbauend seien mit Telesystem Mesko und VIGO Photonics globale Technologieführer entstanden. So gilt LASER-Aussteller VIGO als führend im Bereich ungekühlter IR-Photodetektoren. Das vor 30 Jahren gegründete Unternehmen wurzelt an der WAT und baut auf Forschung aus Zeiten des Wirtschaftsembargos im kaltem Krieg auf. Heute fertigt VIGO mit rund 200 Beschäftigten Sensorik, die in 60 Ländern weltweit – und auf dem Mars im Einsatz ist. Andere Mitglieder der PPTF sind auf Gas-Sensorik spezialisiert, die ebenfalls Infrarot-Technologie nutzt.
Ein weiterer Branchenschwerpunkt liegt laut Nowakowski im Bereich der Optischen Fasern, in dem Polen vor 40 Jahren ebenfalls aufgrund der Embargos eigene Wege beschritt. „Schon in den 1970 Jahren entstanden bei uns erste Glasfaserstrecken für Kommunikationszwecke“, berichtet er. Es sei gelungen, das gewachsene Know-how in hochmodernen Unternehmen wie Perspectiva Solutions, FIBRAIN oder das Start-up FIBER TEAM Photonic Solutions zu verankern. Letzteres entwickelt faseroptische Sensoren, die in der Medizin, Materialanalyse sowie in explosionsgefährdeten Bereichen industrieller Anlagen gefragt sind. Eine weiteres, bereits mehrfach ausgezeichnetes Photonik-Start-up, SDS OPTIC, entwickelt faseroptische Systeme für die Früherkennung von Krebserkrankungen. Und natürlich gibt es in der PPTF auch diverse Systemintegratoren, die Faserlasern in moderne Maschinen integrieren. Dazu zählen Solaris, EAGLE und der 2016 gegründete Femtosekunden-Laserspezialist Fluence, dessen Lasersysteme in der Industrie, Biophotonik, Medizin und in Forschungslabors gefragt sind. Daneben gibt es mit TopGaN-Lasers einen aufstrebenden Hersteller von Diodenlasern auf Gallium-Nitrid-(GaN)-Basis.
Laut Nowakowski gibt die Riege der erfahreneren, stark exportorientierten Unternehmen ihr Wissen im Cluster an die neue Gründer-Generation weiter. „Es gibt einige sehr spannende Start-ups“, berichtet er. Etwa XTPL, die mit ihrem 3D-Nanoprint-Verfahren Chip-, Display- oder Photovoltaik-Fertigung revolutionieren möchte. Ihr Drucker trägt metallische Nanotinten in feinsten Strukturen auf Glas, Silikon, Kunststoffe und Leiterplatten auf. Die Auflösungen liegen im einstelligen Mikrometer-Bereich. Längst sind internationale Investoren an Bord, um die Drucker und Tinten des Start-ups schnell im globalen Maßstab vermarkten zu können. Die schnelle Internationalisierung ist typisch für die Szene. So hat die erst 2018 gegründete Noctiluca bereits Teams in Süd-Korea, den USA sowie Forschungspartner in Deutschland und Japan, um neuartige Materialien für OLED-Displays zu entwickeln und diese inhouse zu fertigen. Auch QNA Technology, ein Team, das sich seit 2016 der Entwicklung kolloidaler, halbleitender Quanten-Dots auf Basis anorganischer kristalliner Nanomaterialien widmet, ist von Beginn an global ausgerichtet. Und mit Orca Computing gibt es ein aufstrebendes Team im Quantencomputing. „In Polen identifizieren sich mittlerweile 250 Unternehmen als Teil der Photonikbranche, sei es als Systementwickler, Zulieferer von Materialien oder optischen Komponenten, Software“, berichtet der PPTF-Chef. Die mittelständisch geprägte Branche sei exportorientiert, hochspezialisiert und verstehe sich als Teil globaler Wertschöpfungsketten. „Es gibt in der Photonik-Industrie keine lokalen Unternehmen. Dafür ist die Branche global viel zu eng vernetzt“, erklärt er.